Die Biodiversität in der Schweiz steht massiv unter Druck. Das hören nicht alle gern. Vor kurzem war ich Ohrenzuge, wie ein früherer Bauer und heutiger Berufspolitiker in einer Diskussion sagte: «Hör mir auf mit Biodiversität. Wenn ich Biodiversität höre, bekomme ich Bibeli!» In gewisser Weise hat er ja recht: Es ist so eine Sache mit den Fremdwörtern. Vielleicht sollten wir wieder dazu übergehen, von Artenvielfalt und Artenschwund zu sprechen. Aber ernsthaft, denn die Artenvielfalt ist in dramatischer Weise bedroht. Mich dünkt, dass der Ernst dieser Lage noch nicht genügend angekommen ist.

In der Fachwelt ist unbestritten: Wenn der Artenschwund weiter geht wie in den letzten Jahrzehnten, dann ist unsere Nahrungsmittelproduktion ganz grundsätzlich gefährdet. Wenn Blüten nicht mehr bestäubt werden, wenn der Ackerboden nicht ausreichend gelockert wird, dann trifft das die landwirtschaftliche Produktion hart. Aber auch unsere Naherholungsgebiete, Gewässer, Ufer, Wälder, Hecken, Moore und Auen verarmen. Im Grundsatz pflichten wohl alle bei, dass wir das nicht möchten. Ein Artenreichtum ist zudem entscheidend, um die negativen Auswirkungen der Klimaerwärmung zu mildern.

Das Bundesamt für Umwelt umschreibt es klipp und klar: «Die Biodiversität steht in der Schweiz unter Druck. Fördermassnahmen zeigen zwar lokal Wirkung, doch die Biodiversität ist weiterhin in einem schlechten Zustand und nimmt weiter ab. Ein Drittel aller Arten und die Hälfte der Lebensraumtypen der Schweiz sind gefährdet. Die punktuellen Erfolge können die Verluste, welche vorwiegend auf mangelnde Fläche, Bodenversiegelung, Zerschneidung, intensive Nutzung sowie Stickstoff- und Pflanzenschutzmitteleinträge zurückzuführen sind, nicht kompensieren. Biodiversitätsschädigende Subventionen verstärken die negative Entwicklung. Um die Leistungen der Biodiversität zu sichern, ist entschlossenes Handeln dringend notwendig.» (Quelle: Schweizerische Eidgenossenschaft, BAFU)

Sobald es aber konkret wird, stemmt sich die bürgerliche Mehrheit der Räte und ganz besonders die einflussreiche Landwirtschaftslobby rund um den Bauernverband gegen alle Vorschläge, mit welchen die Artenvielfalt erhalten werden soll. Sowohl Nationalrat als auch Ständerat lehnen die Biodiversitätsinitiative ab. Der Nationalrat wäre bereit gewesen, einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Der Ständerat will davon nichts wissen; er hat am 7. Dezember zum zweiten Mal beschlossen, auf diesen Vorschlag nicht einzutreten. Es gibt also keine Möglichkeit mehr, die Initiative zurückzuziehen zu Gunsten einer Gesetzesanpassung, welche schneller Wirkung erzielen könnte.

Im Nationalrat ist die Stimmung allerdings kaum besser. Nachdem der Ständerat im Herbst bereits einer Motion Friedli zugestimmt hatte, folgte am Starttag der Session auch die Mehrheit des Nationalrats: Gegen den Bundesrat und zu Ungunsten der Artenvielfalt. Es geht um die Umsetzung eines früheren Beschlusses: 3,5 % der Ackerbauflächen sollen Biodiversitätsförderflächen sein. Nun wird der Start dieser Massnahme nochmals um ein Jahr aufgeschoben. Die Absicht der Mehrheit ist unschwer zu erkennen: Man hofft, diese Bestimmung mit den neuen Kräfteverhältnissen im Parlament wieder ausser Kraft zu setzen.

Von wegen Landwirtschaftslobby: Der Bauernverband weckt gerne den Eindruck, dass er allein die Interessen der Landwirtschaft vertreten würde. Das stimmt jedoch nicht. In der Agrarallianz sind 20 Organisationen vereint, die sich von der Heugabel bis zur Essgabel um eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion und -vermarktung kümmern. Sie setzen ganz in unserem Sinn auf griffige Massnahmen in der Biodiversität oder eben im Artenschutz. Es scheint mir dringend, dass die Agrarallianz eine kräftigere Stimme bekommt und vor allem auch in der Medienwelt Gehör findet.

Am 22. Dezember 2023 hat der Nationalrat in der Schlussabstimmung die Biodiversitäts-Initiative mit 72:124 Stimmen zur Ablehnung empfohlen, der Ständerat mit 12:33 Stimmen.