7. Mai 2020

Die Sondersession in der riesigen Halle der Bernexpo ging einen Tag früher als geplant zu Ende. Hat das Parlament also speditiv gearbeitet und alle seine Aufgaben erfüllt? Mitnichten! Ich finde es eine Schmach, dass sich der Stände- und der Nationalrat beim Thema Geschäftsmieten nicht auf eine gemeinsame Lösung verständigen konnten. Das Parlament hätte es in der Hand gehabt, den geplanten vierten Sessionstag dazu zu nutzen, um doch noch eine Einigung zwischen den Räten zu finden. Zweimal ist dies bei uns im Nationalrat per Ordnungsantrag verlangt worden, zuerst von der SP, dann von uns Grünen. Die Parteien SVP, CVP, FDP und BDP haben sich geschlossen dagegen gewehrt, sie wollten unbedingt einen Tag früher nach Hause. Nun müssen die vielen Mieterinnen und Mieter von Läden, Versammlungslokalen und Restaurants mindestens einen weiteren Monat in Unsicherheit aushalten.

Die Erwartungen der Bevölkerung an die Sondersession waren gross – und berechtigt. Das Parlament musste nicht nur die unter Notrecht freigegebenen Kredite (rund 57 Milliarden Franken) nachträglich gutheissen, es musste auch die Lücken schliessen, auf welche der Bundesrat mit seinen Massnahmen noch keine Antwort gegeben hatte. Und das waren die vier wichtigsten offenen Fragen:

  1. Was gilt bei den Geschäftsmieten zur Entlastung für die Mieter*innen als auch zur Klarheit für die Vermieter*innen?
  2. Wie engagiert sich der Bund zu Gunsten der Kindertagesbetreuung?
  3. Wie kann ausgeschlossen werden, dass eine Aktiengesellschaft Bundesgelder oder Kurzarbeitsentschädigung erhält und trotzdem Dividenden ausschüttet?
  4. Last but not least: Wenn der Bund den Fluggesellschaften schon unter die Flügel greift, zu welchen Bedingungen soll er dies tun? Welche klimapolitischen und sozialen Ziele sind das Mindeste, damit es gerechtfertigt ist, Swiss, Edelweiss und die Bodenunternehmen zu retten?

Lichtblick Kinderbetreuung

Die Bilanz bezüglich dieser dringlichen Fragen fällt ernüchternd aus. Einen kleinen Lichtblick gibt es beim Thema Kindertagesbetreuung. Die Gefahr ist gross, dass vielerorts die Kitas nicht überleben könnten, weil Trägerschaften nicht auf Reserven zurückgreifen können. Der Bedarf wird auf 200 Millionen Franken geschätzt. Die beiden vorberatenden Kommissionen hatten gefordert, dass sich der Bund zur Hälfte beteiligen soll, die andere Hälfte sollen die Kantone übernehmen. In einer ersten Runde hat der Nationalrat dem zugestimmt. Der Ständerat wollte aber, dass der Bund nur ein Drittel trägt. Ich habe in unserer Finanzkommission und im Plenum des Nationalrats persönlich dafür gekämpft, dass es bei 100 Millionen bleibt. Erstens können wir vom Bund aus die Kantone nur einladen, aber nicht verpflichten, dass sie die zweite Hälfte tragen. Und zweitens kann es nicht im Interesse des Bundes sein, wenn die Kita-Strukturen zusammenbrechen, denn er hat mit seiner Anschubfinanzierung in den letzten zwölf Jahren einiges investiert. Am Schluss hat dennoch der Ständerat mit seinem Antrag auf 65 Millionen obsiegt. Immerhin hatte die SVP keine Chance, die sich vollständig um dieses Thema drücken wollte.

Welche Bedingungen sollen an die Unterstützung geknüpft werden?

Unternehmen, die jetzt auf öffentliche Hilfe zurückgreifen können und in der Summe mit Milliarden von Franken gestützt werden, sollen nicht auch noch im laufenden Jahr Dividendenausschüttungen an ihre Aktionäre beschliessen dürfen. Ist das eine populistische Forderung? Ich stelle mir diese Frage ernsthaft, denn mir geht es um eine begründete Entscheidung. Ich komme zum Schluss: Diese Bedingung ist berechtigt. Dividenden ausschütten würde ja bedeuten, dass die öffentlichen Gelder und die ALV-Versicherungsgelder letztlich die Portfolios der Aktionäre vergrössern. Der Nationalrat hat der Motion seiner Wirtschaftskommission zugestimmt; wir Grünen standen geschlossen dahinter. Dann aber der Knockdown im Ständerat: Nachdem sich unter anderem Swissholdings – die Allianz von rund 60 der grössten börsenkotierten Firmen – per Mail eingeschaltet hatte, lehnte eine deutliche Mehrheit des Ständerats diese Forderung ab.

Ähnlich waren die Verhältnisse, und zwar in beiden Räten, auch beim Thema Flugverkehr. Alle unsere Vorstösse, die verlangten, dass das 1,8 Milliarden schwere Hilfspaket an Klimaziele sowie an die Erreichung von sozialen Zielen geknüpft werden soll (z.B. Mindestlöhne, Engagement bei notwendigen Umschulungen), sind von der bürgerlichen Mehrheit kaltgestellt worden: Grüne, SP, glp sowie EVP zusammen kommen im Nationalrat nur auf rund 90 Stimmen. Nicht viel mehr als leere Luft ist die Formulierung, wonach Swiss und Edelweiss die Klimaziele des Bundesrates «kontrollieren und weiterentwickeln» sollen. Wenn schon, dann müssten Ziele erreicht werden! Mit der zahnlosen «Bedingung», welche am letzten Freitag in der Kommission ausgedacht und nun vom Parlament beschlossen wurde, fällt die Schweiz hinter die meisten Nachbarländer zurück. Diese haben nämlich besser begriffen, dass es jetzt darum geht, die Vielfliegerei einzudämmen und die Fluggesellschaften auf die Ziele des Pariser Abkommens zu verpflichten. 

Über die Unterstützung der Flugbranche ist in den Medien viel berichtet worden, darum gehe ich hier auf einen Aspekt des Themas ein, der in der Berichterstattung unterging. Persönlich hatte ich in der Finanzkommission und im Gesamtrat für eine differenzierte Unterstützung der Unternehmen am Boden plädiert: Swissport, Gategroup und SR Technics. Ohne Zweifel sind diese grossen Unternehmen stark betroffen und bedroht, aber sie machen im Unterschied zu den Fliegern in der Luft nicht den Hauptteil der Klimabelastung aus. Künftig wird es wohl unweigerlich weniger Flugverkehr geben (Schätzungen sprechen von 30% Reduktion), aber die Zulieferung und technische Wartung braucht es gleichwohl. Darum haben wir Grünen dafür plädiert, dass die 600 Millionen Franken für die erwähnten drei Grossbetriebe am Boden zwar als Verpflichtungskredit aufgenommen werden, dass dieser Betrag aber nicht gleich sofort als Nachtragskredit ausgelöst wird. Eine solche Unterscheidung tönt sehr technisch, sie ist jedoch fürs Jahresbudget 2020 sehr entscheidend – und es sind zwei ganz unterschiedliche Signale! Beide Kammern haben entgegen unseren Anträgen den Nachtragskredit freigegeben, damit kann das Geld schon nächste Woche fliessen. Zwar hat der Bundesrat entschieden, dass das Geld nicht ins Ausland abfliessen dürfe, und die erwähnten Betriebe sind in chinesischem Besitz! Offenbar läuft es auf baldige Konkurse hinaus, worauf dann eine nationale Auffanggesellschaft gegründet werden soll, an welche die Millionen dann überwiesen werden dürfen. In solchen Momenten wird augenfällig: Die nationale Politik hechelt in einer globalisierten Welt dem Wirken multinationaler Konzerne hinterher, und es ist praktisch unmöglich, die Verhältnisse zu durchschauen.

Eine heilige Kuh namens Tourismus

Dieser Titel klingt vielleicht etwas polemisch, aber ich will auch hier nüchtern die Ausgangslage analysieren: Der Tourismussektor hat grosse Bedeutung für unser Land und gehört zu den am härtesten betroffenen Branchen. Das ist unbestritten und wurde auch sehr schnell erkannt. Und darum ist für die Hotels, Restaurants, Bergbahnen und touristischen Ausflugsziele adäquat gesorgt: Sie konnten sofort für ihr Personal Kurzarbeit beantragen und haben dies auch getan. Für Selbständige und Familienangehörige sowie für junge Leute in der Lehre ist zusätzlich gesorgt, denn die Berechtigungen für Erwerbsersatz wurden rasch und unbürokratisch ausgedehnt. Im zweiten Anlauf ist das Programm für indirekt betroffene Selbständige hinzugekommen: Dazu gehören zum Beispiel die selbständigen Taxiunternehmen und auch viele Hotelbetreiber. Sie wurden zwar nicht zum Schliessen gezwungen, erlitten aber faktisch grosse Einbussen. Ein spezifisches Unterstützungspro­gramm hatte der Bundesrat zudem für die Kulturveranstalter geschnürt, von denen nicht wenige in typischen Tourismusregionen liegen. Beide Parlamentskammern haben auch diese Kulturunterstützung nun nachträglich abgesichert (nebenbei: Die SVP hat dies bekämpft; hätte sie obsiegt, wäre tatsächlich der Tourismus geschwächt worden).

Schliesslich ist an jene Notmassnahme zu erinnern, welche betragsmässig am meisten einschenkt: Die erleichterte Gewährung von Krediten und Bürgschaften. Diese inzwischen ebenso vom Parlament abgesegnete Massnahme hat schnell und unbürokratisch bewirkt, dass die touristischen Unternehmen Kredit für ihre weiteren Verpflichtungen aufnehmen konnten, die sie trotz mehrwöchigem Stillstand nicht abwenden können. Im Parlament sind wir ihnen zusätzlich entgegengekommen: Diese Kredite müssen erst nach acht Jahren, nicht nach fünf, zurückerstattet werden, und sie sind während dieser ganzen Zeit zinsfrei. Auch wir Grünen haben diese beiden Entlastungen unterstützt.

Unter dem Strich kann man also bilanzieren: Für die Tourismusbranche ist im finanziellen Sinn umfassend gesorgt. Und doch haben die beiden Räte nun nochmals einen Nachtragskredit von 40 Millionen Franken bewilligt. Der Ständerat hat sogar 67 Millionen Franken gefordert und ist erst am Schluss auf die tiefere Zahl eingeschwenkt. Die zusätzlichen 27 Millionen wären – unter Notrecht, wohlverstanden – dafür eingesetzt worden, dass allen Mitgliedern von «Schweiz Tourismus» im nächsten Jahr 2021 der Jahresbeitrag erlassen worden wäre, denn für das aktuelle Jahr war er ja schon eingezogen worden. Es hat unter den Mitgliedern nicht nur Betriebe oder Vereinigungen des Tourismus selbst, sondern auch viele Wirtschaftsunternehmen, denen es aktuell gut bis sehr gut geht.

Die nun bewilligten 40 Millionen Franken sollen einem Marketingprogramm dienen, das auf 2-3 Jahre hinaus die Schweiz in erster Linie bei den Schweizerinnen und Schweizern bewerben soll. Im Nationalrat haben wir immerhin noch erreicht, dass dieses Werbeprogramm auf nachhaltigen Tourismus ausgerichtet sein muss. Im besten Fall gelingt es, die wenig bekannten Orte und Kleinode der Schweiz bekannter zu machen, denn wir wollen ja alle vermeiden, dass es zu Massaufläufen an den Bergbahnstationen oder auf den Sonnenterassen der längst bekannten Destinationen kommt. Wir werden diesen Sommer gar nicht anders wählen können, als die Ferien in der Schweiz zu verbringen.

Das Thema Tourismus hätte nicht zu den dringlichen Themen dieser Sondersession gehört (abgesehen vom ungelösten Thema der Geschäftsmieten, von dem auch Hotels und Restaurants betroffen sind, siehe oben). Dass es die beiden Räte dennoch so intensiv beschäftigte, ist ein Lehrbuchbeispiel für erfolgreiches Lobbyieren. Zweimal mussten wir über Mittag als Finanzkommission zusätzlich zusammentreten, um Empfehlungen auszuarbeiten, wie die Differenzen zum Ständerat bewältigt werden könnten. Beide Male hatten wir erst wenige Minuten vorher die Unterlagen bekommen – aus völlig einsichtigen Gründen, weil sie gar nicht früher erstellt werden konnten. Die Parlamentsdienste haben vor und während dieser Sondersession eine Herkulesaufgabe bewältigt! Und mehrfach haben sich auch per Mail die entsprechenden Lobbykreise nochmals kurzfristig und eindringlich gemeldet, teilweise wenige Minuten vor den Abstimmungen. Besucherinnen und Besucher durften bekanntlich in den weiten Hallen der Bernexpo nicht anwesend sein. Der parlamentarische Arbeitsrhythmus war gleichwohl genauestens bekannt.