Manchmal geschieht Seltsames. Im Nationalrat war am 30. September erneut die Stempelabgabe das Thema. Es stand die zweite Etappe der Aufhebung der Stempelsteuer zur Debatte: Eine Mehrheit der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-N) wollte auch auf dem Umsatz von Urkunden und auf der Zahlung von Lebensversicherungsprämien keine Stempelsteuern mehr erheben. Es würde bedeuten, dass dem Bund rund eine halbe Milliarde Franken Einnahmen entgehen. Wir erinnern uns: Eine erste Etappe zur Abschaffung der Stempelsteuer – bei der Herausgabe von Wertpapieren wie Aktien und Anteilscheine durch inländische Unternehmen – haben die Räte im Juni beschlossen, und dagegen haben wir soeben erfolgreich das Referendum ergriffen (https://stempelsteuer-bschiss.ch/um-was-geht-es/). Es wird also eine Volksabstimmung geben, vermutlich am 13. Februar 2022. Wir müssen alles geben, damit wir eine Nein-Mehrheit erreichen!

Die erwähnte Kommission hatte sich also am 14. Dezember 2020 mit der zweiten Etappe zur Abschaffung der Stempelabgaben beschäftigt, welche übrigens bereits 2009 mit einer Parlamentarischen Initiative (09.503) ausgelöst wurde.  Vor neun Monaten also wollte eine knappe Mehrheit (13 von 25) auf diese zweite Etappe einsteigen, die anderen 12 Kommissionsmitglieder stellten einen Antrag auf Nicht-Eintreten, darunter die vier Vertreter*innen der GRÜNEN. Inzwischen haben offensichtlich auf der bürgerlichen Seite fast alle Ratsmitglieder kalte Füsse bekommen: Man fürchtet wohl, dass die ersten Etappe in der Volksabstimmung durchfallen wird, wenn man jetzt schon eine nächste Steuerreduktion ergreifen will. Der Antrag, auf das Geschäft nun gar nicht einzusteigen, hatte plötzlich nur noch einen einzigen Anhänger! 182 Ratsmitglieder wollten nun nichts davon wissen, was uns GRÜNE natürlich freut. Das Referendum zur ersten Etappe wirkt; es bringt die zwei weiteren Etappen zumindest ins Stocken.

Allerdings mache ich mir keine Illusionen. Zwei Tage zuvor haben wir im Nationalrat nämlich als Erstrat die Revision der Verrechnungssteuer behandelt (21.024).  Mit dieser bundesrätlichen Vorlage sollen die Verrechnungssteuern auf Zinsen, welche Unternehmen erzielen, aber auch ausländische Einzelpersonen, wenn sie in der Schweiz ihr Geld anlegen, abgeschafft werden. Wir GRÜNE wollten nicht eintreten. Die bürgerliche Mehrheit verriet jedoch ihre Lust und Freude, weitere Steuern zu senken, zu Ungunsten der Bundeseinnahmen und trotz Coronakrise. Meine Fraktionskollegin Franziska Ryser nannte das entscheidende Motiv beim Namen: «Wir schaffen auf Biegen und Brechen weitere Steuergeschenke für Unternehmen». Sie erinnerte an den Zweck der Verrechnungssteuer: Diese trägt entscheidend dazu bei, dass Vermögen auf Schweizer Konten deklariert werden. Mit der Abschaffung nimmt man in Kauf, dass künftig mehr Steuern hinterzogen werden. Damit genau dies nicht passiert, versuchten wir GRÜNEN, dass dann wenigstens ein einfaches Meldeverfahren über die Vermögensverhältnisse eingerichtet würde, so dass keine Geldanlagen «versteckt» werden. Wir hatten keinen Erfolg damit. Das Geschäft geht nun an den Ständerat, und ich bin gespannt – wenn auch nicht besonders zuversichtlich – ob die «Chambre de réflexion» doch noch etwas Gegensteuer gibt.