Erfahrungen aus der Dezembersession

Felix Wettstein, 16. Dezember 2020

Während der Wintersession 2020 dürfen Lobbyistinnen und Lobbyisten nur auf persönliche Einladung und nur in kleiner Zahl ins Bundeshaus. Wegen Covid-19 wurde die Zahl der Anwesenden auf das Notwendigste begrenzt. Da auch sonst keine Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen stattfinden dürfen (seit 12. Dezember ist die Grenze noch tiefer), gibt es auch kaum Einladungen an uns Ratsmitglieder in die Lokale ums Bundeshaus herum. Die meisten geplanten Veranstaltungen wurden verschoben, etwa ein halbes Dutzend finden als Videokonferenzen statt. Ungebrochen aktiv sind die Interessenvertreter*innen auf dem Mailweg, und auch einige Briefpost oder kleine Päckli treffen ein.

In meiner fünften ordentlichen Session kristallisiert sich für mich je länger je deutlicher heraus, wer regelmässig lobbyiert und «am Puls» ist.
Nicht berücksichtigt sind nachfolgend die vielen Dutzend Zuschriften von Privatpersonen, meistens im Kontext der Coronamassnahmen, fast immer von empörten Skeptikern. Diese Mails wandern bei mir direkt ins Fach «endgültig löschen». Die nachfolgende Aufarbeitung betrifft also nur institutionelle Absender. Erneut möchte ich betonen, dass ich nichts gegen das Lobbying einzuwenden habe, aber ich bin für Transparenz und für strikte Ablehnung jeglicher Vorteilsnahme.

Es gibt einige Organisationen und Allianzen, welche uns sehr häufig mit ihren Positionsbezügen beliefern, nicht nur mit unmittelbarem Bezug auf die bevorstehende oder aktuelle Session. Ganz zuoberst steht der eine Gewerkschafts-Dachverband Travail Suisse (www.travailsuisse.ch). Ein wöchentlicher Brief kommt von «Centre Patronal» (www.centrepatronal.ch/bern/interessensvertretung), eine Art zweite Avenir Suisse. Auch diese (www.avenir-suisse.ch) respektive ihr Direktor Peter Grünenfelder schickt uns regelmässig aktuelle Meinungsbeiträge.

Verschiedene Organisationen oder Allianzen schicken regelmässig einen Sessionsbrief mit diversen Empfehlungen zur bevorstehenden Session. Einige tun dies zweigleisig, das heisst per Post und auch per Mail: Travail Suisse, H+ (Verband der Spitäler), Santésuisse, die Krankenversicherung «Groupe Mutuel», die «Umweltallianz» (Zusammenschluss aller wichtigen Umweltverbände), Kinderschutz Schweiz, der Verband Immobilien Schweiz VIS, die «Industriegruppe Agrar» (sechs grosse Agrochemiefirmen), der Wirtschaftsverband «Scienceindustries» (Chemie, Pharma, Life Science). Die beiden letztgenannten haben dieselbe Absenderadresse, sie ist identisch mit der Zürcher Adresse des PR-Büros Furrer+Hugi und ebenfalls identisch mit der Adresse einer Parlamentarischen Gruppe (PG), welche den durchaus unverdächtigen Namen «Bildung, Forschung und Innovation» trägt.

Zahlreiche weitere Interessenskreise setzen alleine auf den Mailweg und schicken uns vor jeder Session einen Sessionsbrief mit ihren Empfehlungen zu mehreren Abstimmungen; je nach Geschäftsliste sind es bis zu 20 Empfehlungen. Auffallend sind jene Listen, welche innert kaum einem Tag nach der Publikation der Sessionstraktanden eintreffen: Hier werden offensichtlich die Kommissionsverlautbarungen systematisch verarbeitet. Nachfolgend jene, die uns (zusätzlich zu den im vorangehenden Absatz genannten) jedes Mal ihr Sessionsradar schicken, in der Reihenfolge des Eintreffens vor der Wintersession 2020: HotellerieSuisse, Verband Schweizer Medien, Kaufmännischer Verband Schweiz, Schweizerischer Städteverband, Schweizerischer Baumeisterverband, Swissmem (Metall, Elektro, Maschinen), der Krankenkassenverband Curafutura, Schweizerischer Versicherungsverband, Amnesty International, senesuisse (Verband wirtschaftlich unabhängiger Alters- und Pflegeeinrichtungen Schweiz), EXPERTsuisse (Treuhand, Wirtschaftsprüfung), FMH, Pro Familia Schweiz, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV), Verband Schweizer Kantonalbanken VSKB, GastroSuisse, Schweizerischer Gemeindeverband, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Sexuelle Gesundheit Schweiz, TreuhandSuisse.

Dieses bunte Mosaik der vorangehenden beiden Absätze zeigt, dass sowohl Profit- als auch Nonprofit-Organisationen regelmässig an uns denken. Bisher nicht genannt habe ich die öffentlichen Absender, aber auch solche gibt es: Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK stellt regelmässig ihre Empfehlungen zusammen. Die Vereinigung der Kantone der Suisse Romande macht dies ebenfalls dann, wenn die Romandie spezifisch betroffen ist. Der Kanton Basel Stadt stellt regelmässig «Faktenblätter» zusammen und weist dabei das Interesse des Kantons nach. Zwar nicht jedes Mal, jedoch dann, wenn es thematisch passt, bezieht auch die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen EKKJ Stellung. Andere vom Bundesrat eingesetzte Kommissionen habe ich bisher nicht beobachtet, welche sich zu unmittelbar bevorstehenden Ratsgeschäften äussern.

Ohne Bestellung, Abonnement oder Mitgliedschaft erhalte ich einige Zeitschriften einfach so, zum Beispiel SEV, die Zeitung der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (20x/j.), «Schweizer Gemeinde» des Schweizerischen Gemeindeverbandes (monatlich), «ensuite», aufwändig gemachte Monatszeitschrift für Kultur und Kunst (Bern), «Krankenpflege», Zeitschrift des Berufsverbandes SBK (11x/j.) «Info Santésuisse» (6x/j.), «Wandern.CH» der Schweizer Wanderwege (6x/j.), «global» der Alliance Sud (4x/j) und noch ein paar weitere Zeitschriften, die 3-4x pro Jahr erscheinen. Elektronische Newsletter haben inzwischen wohl fast alle Organisationen. Man kann sich bekanntlich mit wenig Aufwand in den Verteiler einklicken. Hier ein paar regelmässig zugeschickte Newsletter, ohne dass ich sie ausdrücklich bestellt hätte, aber teilweise durchaus froh darum bin: Inclusion Handicap (Dachverband Behinderung), «focus» des Schweizerischer Städteverbandes, «kompakt» von HotellerieSuisse, Newsletter von Espacesuisse – Verband für Raumplanung.

Abschliessend ein paar Worte zu spannenden Entwicklungen innerhalb der vergangenen Monate. Seit uns die Coronakrise herausfordert, meldet sich die Taskforce Culture sehr regelmässig; Absender ist jeweils der eine ihrer 16 Mitgliedverbände, die SMPA (Swiss Music Promoters Association), jedoch im Namen der ganzen Taskforce. Der Kultursektor, zuvor als Lobbykraft wenig spürbar, rückt offensichtlich zusammen und verstärkt seine Stimme. Persönlich hoffe ich sehr, dass dies zu einem dauerhaften Schulterschluss führt. Am spannendsten erlebe ich das Lobbying jeweils dann, wenn sich neue und überraschende Allianzen finden. Bei der (leider gescheiterten) Vorlage für ein Covid-19-Geschäftsmietengesetz haben sich GastroSuisse und diverse «linke» Organisationen sowie die Gewerkschaften gefunden. Oder als es darum ging, den erneuten Armeeeinsatz in Heimen und Spitälern zu ermöglichen, sind fünf Verbände gemeinsam (aber leider vergeblich) dafür eingestanden, dass dies auf Zivilschutz- und Zivildienstleistende auszuweiten sei: die Verbände H+ (Spitälervereinigung), CURAVIVA Schweiz, Spitex Schweiz, senesuisse sowie der Schweizerische Berufsverband Krankenpflege SBK.