Aus drei mach eins. In Solothurn in der Jugi fand die Gründungsversammlung des neuen Dachverbandes der Kinder- und Jugendarbeit Solothurn statt. Der Verband löst drei Vorgängerorganisationen ab und umfasst neu die verbandliche und die offene Kinder- und Jugendarbeit. Aus aktuellem Anlass habe ich meine Begrüssungsbotschaft mit Stimmrechtalter 16 begonnen.

Begrüssungsbotschaft

Am letzten Sonntag hat der Kanton Zürich über das Stimm- und Wahlalter 16 abgestimmt. Ihr habt sicher gehört, wie das Resultat herausgekommen ist: Zwei Drittel der Stimmenden sagten Nein. 55 Prozent der Stimmberechtigten sagten gar nichts, weil sie gar nicht an den Abstimmungen teilgenommen haben. Von aussen gesehen gilt ja Zürich als liberaler Kanton. Zwei andere Abstimmungen zu Klima und Ökologie sind sehr deutlich angenommen worden. Aber offenbar ist Zürich nicht reif für die Erweiterung der demokratischen Beteiligungsrechte.  

Ihr habt euch vermutlich auch die Frage gestellt, wie eine solche Abstimmung wohl im Kanton Solothurn ausgefallen wäre. Etwa gleich wie im Kanton Zürich? Oder noch deutlicher? Und wie würde wohl in unserem Kanton argumentiert? Früher hat es ja oft geheissen, die Jungen würden sich gar nicht interessieren. Das hört man in letzter Zeit etwas weniger, weil sichtbar ist, dass viele junge Menschen sehr «politisch» sind, sich sehr in der Öffentlichkeit äussern, sich interessieren und engagieren. Das andere Hauptargument heisst «Die Jungen sind zu wenig reif». Das war nach meiner Wahrnehmung auch im Kanton Zürich das Hauptargument, auch Journalisten (Männer) haben in dieses Horn gestossen. Oder es kam das Argument, Rechte und Pflichten seien dann nicht mehr in der Balance.  Als ob irgendjemand von uns Erwachsenen zuerst eine Pflicht erfüllen oder eine Reifeprüfung ablegen müsste, bevor sie oder er den Stimmzettel ausfüllen darf.

Wer mit Reife oder Pflichten argumentiert, unterliegt meiner Meinung nach einem grundsätzlichen Irrtum und hat nicht verstanden, was politische Beteiligungsrechte eigentlich sind – oder sein könnten. Wir nennen Rechte und Pflichten oft in einem Atemzug. Der Gegenbegriff von «Recht» ist allerdings nicht «Pflicht». Der Gegenbegriff von Recht ist Unrecht oder Rechtlosigkeit. Der Gegenbegriff von Pflicht ist Freiwilligkeit. Wenn Menschen ein Recht haben, dann steht ihnen dieses Recht zu, sie müssen es nicht zuerst verdienen, weder mit einer Pflichterfüllung noch mit einem Wissenstest.

Das haben vor ein paar Jahren die Stimmberechtigten im Kanton Glarus begriffen. Dort wurde das Stimm- und Wahlrechtalter 16 beschlossen. Glarner Jugendliche sind genauso reif oder unreif wie junge Menschen bei uns. Aber die älteren haben den richtigen Schluss gezogen: Ihr gehört zu uns, ihr macht mit uns zusammen den schönen Kanton Glarus aus, darum soll euch auch das Mitbestimmungsrecht zustehen. Man könnte es auch so interpretieren: Generationen sind zwar verschieden, aber sie sind gleich wichtig.

Auf gleicher Höhe und doch zu unterscheiden

Zu unterscheiden, aber gleich wichtig: Das ist ein möglicher Schlüssel auch für die heutige Versammlung, für den heutigen Abend. Der Dachverband Kinder- und Jugendarbeit Kanton Solothurn heisst neu in Kurzform «kindundjugend.so» Zu unterscheiden, aber gleich wichtig, sind «kind» und «jugend». Mir gefällt das, wenn ich an meine eigene Biografie denke. Ich war in der ehrenamtlichen Jugendarbeit engagagiert, das hat mich stark geprägt. Etwas später, mit gut 40 Jahren, wurde ich Präsident der Kinderlobby Schweiz. In dieser Rolle habe ich auch dazu beigetragen, dass das Netzwerk Kinderrechte Schweiz gegründet wurde. Heute treffe ich als Nationalrat im Bundeshaus einerseits auf die parlamentarische Gruppe Jugend, andererseits auf die Alliance Enfance.

Es gibt bei «kindundjugend.so» ein zweites «Verschieden, aber gleich wichtig», und das freut mich genauso: Wir können zwischen der verbandlichen Arbeit und der offenen Arbeit unterscheiden. Verbandliche Kinder- und Jugendarbeit hat ihre eigenen Strukturen, ihre Orte, ihre Arbeitsweisen, ihre Tradition; sei es bei Jugendorganisationen mit allgemeiner Ausrichtung wie Jubla, Pfadi, Cevi; sei es bei themenspezifischen Organisationen mit Jugendgruppen, zum Beispiel im Bereich Naturschutz, Theater, internationalem Austausch, Schüler*innenorganisationen. Analog hat die offene Kinder- und Jugendarbeit ihre Orte, ihre Arbeitsweisen, ihre Tradition: Offen im Sinne von freier Zugänglichkeit ohne Mitgliedschaft; verbindlich im Sinne von professioneller Ausübung der Dienstleistungen. Dabei gibt es durchaus Übergangsformen und Zwischentöne. Die Klassiker der offenen Kinderarbeit sind Robi- oder Quartierspielplätze, die Klassiker der offenen Jugendarbeit sind die Jugendtreffs oder Jugendhäuser. Schon länger ist aber klar, dass es weitere «Offenheiten» braucht: Ich denke an mobile Angebote ausserhalb von definierten Plätzen oder Häusern. Ist das dann Kind? Ist es Jugend? Durchaus beides. Offenheiten aber auch in andere Richtung, z.B. in Richtung Kultur: Wie weit geht Jugendarbeit, wo beginnt Kulturarbeit oder Kulturförderung? Oder Richtung Sozialhilfe: Was trägt Kinder- und Jugendarbeit dazu bei? Oder Richtung Integrationsarbeit und interkultureller Verständigung.

Ich wünsche euch alle diese Offenheiten in verschiedene Richtungen, dieses «auf Augenhöhe» zwischen Kind und Jugend, zwischen offen und Verband, immer im bewusstsein dessen, was das Gemeinsame ist: Das unbedingte Einstehen für eine hohe Lebensqualität für die nachwachsende Generation. Für alle.