5.5.2021 / Am Schluss lautete das Resultat 88 : 87 bei 14 Enthaltungen: Der Nationalrat hat so knapp wie nur möglich der Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» zugestimmt. Zuvor, am heutigen Abschlusstag der Sondersession, hatten wir einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet, der eine grosse Mehrheit fand – nur 34 Gegenstimmen. Nun geht die Vorlage an den Ständerat.

Das praktisch ausgeglichene Resultat zur Initiative ist Ausdruck eines ethischen Dilemmas. Ich gehöre zu jenen 14 Ratsmitgliedern, die sich enthalten haben, weil ich beide ethischen Überlegungen nachvollziehen kann. Beide sind auch durch die Bundesverfassung gestützt. Der eine ethische Grundsatz heisst «Leben retten». Darüber besteht kein Zweifel: Gespendete Organe können Leben retten, manchmal junges Leben. Wir sollten das Möglichste tun, damit genügend Spendenorgane zur Verfügung stehen. Der andere ethische Grundsatz heisst «Selbstbestimmung und Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit». Er untersagt eine Instrumentalisierung des menschlichen Körpers – nach meinem Empfinden auch über den Tod hinaus.

Weil es in der Schweiz deutlich mehr Menschen gibt, die auf ein Spendenorgan hoffen und warten, als Spendenorgane zur Verfügung stehen, soll das bestehende Transplantationsgesetz angepasst werden: Darum der erwähnte indirekte Gegenvorschlag. Bisher setzt das Gesetz auf die Zustimmungslösung, und das führt offensichtlich nicht zu genügend Organspenden. Die Initiative verfolgt den Ansatz, den diverse europäische Länder bereits kennen: Die Widerspruchslösung. Entweder hat ein Mensch zu Lebzeiten erklärt, dass er keine Organe, Gewebe oder Zellen spenden will, oder aber die Organentnahme ist freigegeben. Damit schlägt sich die Initiative im oben erwähnten ethischen Dilemma eindeutig auf eine Seite. Die Mehrheit der GRÜNEN hat ihr zugestimmt, aber ich war nicht der einzige mit «Enthaltung».

Einen dritten Weg hatte die Ethikkommission des Bundes vorgeschlagen: Die sogenannte Erklärungsregelung. Mit ihr würden wir Bewohner*innen regelmässig aufgefordert, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen und unseren Willen anzugeben, damit dieser Wille in einem zentralen, geschützten Register eingetragen werden kann. Mir gefällt dieser Grundsatz. Allerdings ist auch dann wichtig, dass der Umgang mit dem Thema subtil erfolgt. Ein Antrag im Nationalrat verlangte, der Bund müsse sicherstellen, dass alle in der Schweiz wohnhaften Personen eine Erklärung zu ihrem Spendenwillen abgeben. Das lehne ich ab: Es muss weiterhin erlaubt sein, sich nicht zu erklären.

Einem weiteren Vorschlag habe ich zugestimmt: Jeweils bei einer Erneuerung von Pass oder ID würden die Personen eingeladen, ihren Willen kundzutun. Hier waren wir GRÜNE uns einig: Damit wäre eine gute Balance gefunden worden zwischen Selbstbestimmung einerseits und behördlichem Engagement zu Gunsten einer höheren Anzahl verfügbarer Organe als heute. Dieser Vorschlag ist nur ganz knapp gescheitert. Wer weiss, vielleicht greift ihn der Ständerat auf. Die Gesetzesanpassung, wie wir sie nun gezimmert haben, ist eine erweiterte Widerspruchslösung mit Einbezug von Angehörigen und allfälligen Vertrauenspersonen. Gut möglich, dass die Initiative zurückgezogen wird.