Wann sprechen wir von Züchtung? Bisher war ich überzeugt, dass dieses Wort bedeutet: Weibliche und männliche Zellen von einem Nutztier oder einer Nutzpflanze werden miteinander gekreuzt, so dass es Nachkommen mit einer Kombination der vorteilhaften Eigenschaften gibt. Nie hätte ich an eine Genschere gedacht, mit welcher die DNA, die Trägerin der Erbinformation, gezielt «zerschnitten» und technisch bearbeitet wird.

Doch genau dafür steht seit ein paar Monaten der Ausdruck «neue Züchtungsmethoden». Die Promotoren dieser Verfahren haben natürlich längst erkannt, dass es Widerstand auslöst, wenn sie von Gentechnologie oder von Genom-Editierung sprechen, obwohl dies die richtige Bezeichnung wäre. Als Konsumentinnen und Konsumenten wollen wir keine genmanipulierten Nahrungsmittel, Punkt. Also spricht man lieber von «Züchtung», denn wer soll schon etwas gegen erfolgreiche Züchtung haben? Das praktiziert die Menschheit schliesslich seit es sie gibt.

«Der Mais ist zurück im Bundeshaus» titelten die Tageszeitungen von ch-media am 16. Februar treffend, in Anspielung auf den Titel des Dokumentarfilms Mais im Bundeshuus von 2003, als das Gentech-Moratorium erstmals beschlossen und Maya Graf schweizberühmt wurde. Dreimal war das Moratorium seither praktisch diskussionslos verlängert worden. Nun haben wir zwar in beiden Räten die Verlängerung des Moratoriums erneut beschlossen, allerdings mit einem Hintertürchen, das die Genschere in der Herstellung von Nutzpflanzen bald erlauben könnte. Dem Entscheid vorangegangen war ein massives Lobbying der Pharma- und der Agrarindustrie: Stets unter dem Stichwort «Züchtung», niemals mit «Gen».

Bei der «klassischen» Gentechnik wird ein artfremdes Gen in die DNA einer Pflanze eingeführt, mit ungewissem Ausgang. Bei der Genom-Editierung wird «nur» arteigenes Erbgut verändert: Einzelne Gene können aktiviert oder deaktiviert werden. Das sei derselbe Vorgang wie eine natürliche Mutation, wird behauptet. Im Nationalrat sind wir nun noch nicht soweit gegangen, wie es der Ständerat im Dezember wollte. Die Mehrheit (gegen GRÜNE und SP, aber mit glp) hat «nur» beschlossen, dass der Bundesrat bis Mitte 2024 dem Parlament eine Vorlage für eine risikobasierte Zulassungsregelung zu «neuen Züchtungsmethoden» unterbreiten soll. Das tönt harmlos, ist es aber nicht.

Ich bin überzeugt, dass wir allen Grund haben, das Moratorium so integral zu verstehen wie bisher. Forschung unter Laborbedingungen ist ja weiterhin erlaubt, und das ist auch richtig. Tatsache ist, dass es zu den Risiken der Genom-Editierung keinen wissenschaftlichen Konsens gibt. Feldversuche bergen nachweislich das Risiko, dass es zu Übertragungen auf die Pflanzen in Nachbar-Parzellen kommen kann. Es stellen sich Haftungsfragen, die alles andere als beantwortet sind. Konsumentinnen und Konsumenten müssen die Garantie haben, dass sie gentechnologiefreie Produkte haben, wenn sie das wollen.

Skeptisch machen mich auch die neuen Heilsversprechen, was dank Genom-Editierung alles besser würde: die Welternährung, die Anpassung an den Klimawandel, die Marktchancen für KMU. Faktisch wird weiterhin vor allem an Nutzpflanzen laboriert, damit sie gegen Pestizide resistent gemacht werden; dies wiederum führt erfahrungsgemäss zu vermehrtem Einsatz von Pestiziden. Vor allem aber: Die Genschere verlangt eine hochtechnologische Ausrüstung. Über kurz oder lang werden es weltweit tätige Grosskonzerne sein, die alle diese Verfahren kontrollieren. Produzentinnen und Produzenten von Nutzpflanzen geraten noch mehr in Abhängigkeit. Das ist um 180 Grad anders als bei der Züchtung: Da kann die einzelne Bäuerin, der einzelne Gärtner die weibliche und die männliche Zelle eigenhändig kreuzen.