Ein Expertenbericht mit gehöriger Schlagseite
Wie wendet man ein Defizit von 3-4 Milliarden ab? Kaum ein Thema gibt seit drei Wochen so viel zu reden, zu schrieben und Haare zu raufen. Wenn die Prognosen des Bundes (diesmal…) zutreffen, dann steuert der Bund in vier bis sechs Jahren auf ein Defizit von jährlich rund 3-4 Milliarden Franken zu. Darum hat der Bundesrat unter Federführung von Finanzministerin Karin Keller-Sutter im März eine fünfköpfige Expertengruppe eingesetzt. Sie soll alle Zahlungen des Bundes unter die Lupe nehmen und Vorschläge zur Abwendung des drohenden Defizits ausarbeiten.
Die Expertengruppe Gaillard hat ihren Bericht am 5. September 2024 veröffentlicht. Der Bericht hat gehörig Schlagseite. Das kann man der Gruppe nicht grundsätzlich verübeln, denn bereits das Mandat, das der Bundesrat formuliert hatte, war derart einseitig: Die Gruppe soll prioritär nur Massnahmen zur Ausgabenkürzung ausarbeiten. Erst in zweiter Priorität sollen auch mögliche Einnahmen erwogen werden. Entsprechend hat die Expertengruppe denn auch gearbeitet: Der Hauptbericht enthält 60 Kürzungs- und Streichungsvorschläge. Erst in einem Beilagedokument geht es auch um Vorschläge für Mehreinnahmen.
Der Hauptbericht dieser Expertengruppe hat mich gehörig erschreckt. Er trieft vor neoliberaler Ideologie. Es handelt sich über weite Strecken um ein rechtsbürgerliches Abbauprogramm. Unter die Räder kommen Klimaschutz, Umwelt, soziale und globale Gerechtigkeit sowie Bildung. Es befremdet mich sehr, dass die Expertengruppe Massnahmen vorschlägt, welche darauf abzielen,
- Volksentscheide der jüngsten Zeit zu Fragen von Klima und Energie umzustossen (Fördermassnahmen gemäss Klimaschutzgesetz, im Juni 23 beschlossen) oder umzudeuten (die geforderten Lenkungsmassnahmen und Verbote waren Teil des leider abgelehnten CO2-Gesetzes);
- ein neues Sozialwerk fallen zu lassen – die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose – welches erst zwei Jahre alt ist und in der Vernehmlassung breit abgestützt war, das Referendum wurde nicht ergriffen;
- dem Resultat aktueller parlamentarischer Beratungen vorzugreifen (namentlich zu den Themen Kinderbetreuung und BFI-Botschaft).
Woher kommt das Defizit?
Die Einnahmen des Bundes steigen sanft und stetig. Die gute und stabile konjunkturelle Lage der Schweiz ist die wichtigste Erklärung dafür. Die prognostizierten Ausgaben steigen jedoch stärker. Warum? Letztlich bewirkt ein einziger Auslöser diese Schere: der massive Rüstungsausbau. Innert weniger Jahre soll das Armeebudget von 5,5 auf 9,5 Milliarden Franken anwachsen. Das zweite Problem ist die rigide Handhabe der Schuldenbremse. Die bürgerliche Mehrheit des Parlaments erstickt bisher jeden Versuch im Keim, die Schuldenbremse auch nur sanft zu reformieren.
Vielleicht kommt jetzt der Einwand: «Aber es ist doch auch die 13. AHV-Rente, welche das Defizit verursacht»? Das wird zwar überall herumgeboten. Aber der AHV-Fonds ist mit rund 54 Milliarden sehr gut gefüllt: Das würde für rund ein Dutzend Jahre für die 13. Rente reichen, und das Reformprojekt für die künftige Finanzierung der AHV ist in der Pipeline.
Was schlägt nun der Bundesrat vor?
Bereits am 20. September gab der Bundesrat seine Pläne bekannt. Er will bei den Ausgabenkürzungen fast das ganze Programm der Expertengruppe Gaillard unbesehen übernehmen. Bloss 7 der 60 Massnahmen will er ausnehmen, unter anderem will er die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose beibehalten. Einige weitere Vorschläge will er noch einer genauen Prüfung unterziehen, vor allem jene, welche die Aufgabenteilung Bund-Kantone betreffen. Er behauptet zwar, Volksentscheide der jüngeren Zeit nicht in Frage zu stellen. Allerdings ist er nicht konsequent, sonst hätte er auch die Vorschläge zum Ersatz des Heizungsprogramms, zu den internationalen Nachtzügen und zu Förderbeiträgen für die Dekarbonisierung von Bussen und Schiffen aus dem Katalog streichen müssen. Auch greift er in laufende Parlamentsdebatten ein, am folgenreichsten bei den Bundesbeiträgen für die Kitas (860 Millionen).
Gesamthaft führt das Bundesratsprogramm zu Aufwandreduktionen von 3,2 Milliarden Franken. Immerhin greift es auch «punktuelle einnahmenseitige Massnahmen» auf. Sie belaufen sich allerdings nur auf 0,3 Milliarden Franken. Mit anderen Worten: die Schlagseite bleibt. Wie es die Expertengruppe vorschlägt, will der Bundesrat künftig Kapitalbezüge aus der 2. und 3. Säule so besteuern, dass sie gegenüber der Rente nicht länger bevorteilt sind. Endlich, muss man sagen. Doch machen wir uns gefasst: Die omnipräsente Lobby der Finanzinstitute wird ihre Muskeln spielen lassen.
Gibt es gar nichts Gutes am Expertenbericht?
Doch. Auch wenn viele wesentliche Elemente erst in der Beilage zu finden sind. Im Hauptteil macht der Expertenbericht Vorschläge für geringere Zahlungen an die Kantone, da diese zum Teil sehr hohe Gewinne erzielen. Das ist ein Thema, welches wir unbedingt weiterverfolgen sollten. Die Balance zwischen dem Bund und den Kantonen ist nach meiner Einschätzung nicht mehr im Lot.
Dabei gilt zu beachten: Nicht alle Kantone sind auf Rosen gebettet. Aber vor allem die bereits wohlhabenden Kantone werden sehr schnell noch reicher. Darum dünkt mich wichtig zu prüfen, welche Finanzströme in erster Linie den ressourcenstarken Kantonen zufliessen. Auf den Punkt gebracht: Heute subventioniert der Bund die Kantone Genf, Zug, Basel-Stadt, Schwyz, Zürich. Das ist ja auch das Thema meiner Motion 24.3545 «Ressourcenstarke Kantone stärker am Finanz- und Lastenausgleich beteiligen».
Ebenfalls Teil der 60 Massnahmen sind der Verzicht auf polizeiliche Leistungen an den Flughäfen und die Kürzung der Beiträge an Regionalflughäfen, um zwei Beispiele herauszugreifen. Und weitere gute Impulse sind in der Beilage des Expertenberichts zu finden. Sie stellt zu recht fest, dass es heute zahlreiche Abzugsmöglichkeiten bei der direkten Bundessteuer gibt, welche «weder steuersystematisch gerechtfertigt, noch im Sinne einer ausserfiskalischen Massnahme verhältnismässig» sind.
Schliesslich unterstütze ich, dass die Expertengruppe die Grundstückgewinnsteuer für Private auch auf Bundesebene für richtig erachtet und dass sie empfiehlt, die heutige Befreiung diverser Fahrzeugkategorien von der Treibstoffsteuer aufzuheben. Es gäbe eine Massnahme, die mit 1.5 Milliarden (!) Franken am meisten einschenken würde: Der internationale Luftverkehr ist vollständig von der Mineralölsteuer (Kerosin) befreit. Die Expertengruppe hat es diskutiert, aber leider nicht in den Katalog aufgenommen.