Die einen sind schnell. Schon zwei Tage nach dem Wahlsonntag vom 22. Oktober treffen die ersten Gratulationsbriefe ein. Da steht ganz offensichtlich eine generalstabsmässige Organisation dahinter, wenn so schnell alle Adressen erfasst sind, unterteilt nach Sprache, nach Ratskammer und nach Neuwahl oder Wiederwahl. Zu den flinken Absendern gehören zum Beispiel Swisspower, die Allianz der Schweizer Stadtwerke zur Energieversorgung, weiter ProCinema, der Verband Kinderbetreuung Schweiz kibesuisse (per Mail bereits am Tag nach der Wahl) und die Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz. Auch die Karte von ALPIQ war sehr schnell in meinem Briefkasten, etwa eine Woche schneller als jene von AXPO.

«Wir freuen uns auf weitere interessante Kontakte mit Ihnen». Viele Zuschriften wirken sehr routiniert, aber eben doch eher berechnend als herzlich. Immerhin steht da und dort ein handschriftlicher persönlicher Gruss dabei, signiert von einer Leiterin Public Affairs oder einem Chief Governmental Affairs, mit denen ich auch schon mündlich im Austausch war.

Nicht überraschend kommen etliche Glückwunsch-Briefe von den gleichen Interessenskreisen, die uns auch regelmässig vor jeder Session ihren Sessionsbrief mit zahlreichen Empfehlungen für unser Stimmverhalten zuschicken (siehe dazu mein früherer Beitrag). Es ist eine Bestätigung dafür, wer die Power hat, das parlamentarische Geschehen fast schon hautnah zu begleiten. Hierzu zähle ich zum Beispiel Interpharma, den Verband der forschenden pharmazeutischen Unternehmen. Oder scienceindustries, den Wirtschaftsverband Chemie, Pharma, Life Sciences. Weiter den Wirtschafts-Dachverband economiesuisse.  Oder den Flughafen Zürich.  Oder die branchenübergreifende Initiative «digitalswitzerland». Oder Travail.Suisse, einer der beiden Gewerkschafts-Dachverbände. Aufschlussreich dünkt mich auch, dass sowohl die Regierung der Stadt Bern, die Bern Hotels als auch die Tourismusallianz Kanton Bern gratulieren. Letztere mit Grüessech!

Im Titel der Zusendungen per Brief oder Karte steht «Gratulation» oder «Glückwunsch». Nicht selten folgt dann auch gleich die Ankündigung eines ersten Anlasses, der dem weiteren Austausch dienen soll. SWISSMEM, Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, lädt zum «Abend der Tech-Industrie» in der dritten Sessionswoche ein. GastroSuisse, Branchenverband für Hotellerie und Restauration, empfiehlt schon mal den Terminblocker für den Jahresanlass im Kornhauskeller vom September 2024. Der Info-Lunch von Caritas Schweiz ist bereits für März 2024 angekündigt, einen Tag später als der Willkommensanlas von LITRA, dem Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr. Verschiedene Organisationen, so etwa der Schweizer Tourismus-Verband, die Vereinigung Swisscleantech oder der Schweizerische Gehörlosenbund, laden mich gleich zum Beitritt zur passenden Parlamentarischen Gruppe ein: Ein gutes Indiz dafür, dass es sich bei diesen Gruppen um ein Instrumentarium des Lobbyings handelt. Die Post AG legt ein Briefchen Saatgutkonfetti sowie eine Sondermarke bei: Für mich selbstverständlich jene mit dem Motiv «Solothurn». Die Umweltallianz (ihren Kern bilden VCS, Greenpeace, pro natura und WWF) gratuliert auf ihrem Beiblatt zum Dossier «Standpunkte» zur Wintersession.

Aus «meinem» Kanton Solothurn haben mich auch zahlreiche Gratulationen erreicht. Die meisten von ihnen wirken doch etwas persönlicher, nicht nur «routiniert», was mich aufrichtig freut. Glückwünsche erreichten mich von Verbänden, die sich auch sonst zu erkennen geben, etwa die Solothurner Handelskammer, der Verband Bürgergemeinden und Wald unseres Kantons, der Solothurner Bauernverband, Dietschi Print&Design Olten, oder die Baloise Bank (früher SoBa). Zwei Zuschriften gefallen mir ganz besonders: Zum einen der Brief von Stahl Gerlanfingen, in dem mir der CEO und der CFO für mein Stimmverhalten in der Herbstsession danken, zum anderen die Karte des Naturparks Thal: Vorne drauf das motivierende Bild des gesamten 12-köpfigen Teams, im Innern handschriftlich die sehr herzliche Botschaft der Geschäftsleiterin.

Je mehr es auf den Dezember zugeht, desto häufiger verbinden sich die Gratulationen zu meiner Wiederwahl gleich auch mit einem kleinen «Gschänkli» oder mit einer Weihnachtskarte. Die Abgrenzung wird unschärfer. Alles in allem kann ich bilanzieren: Zwischen 24. Oktober und 8. Dezember 2023 haben mich per Brief 61 Wahl-Gratulationen mit «geschäftlichem» Absender erreicht, davon elf aus dem Kanton Solothurn (ja, elf!). Nicht mitgezählt habe ich ein paar Dutzend Mails. Das ergibt ein sehr repräsentatives Bild vom Lobbying-Spektrum.

Titelbild: Die Gratulationskarte von „Netzwerk FUTURE – wissenschaft & politik“ zeigt eine Lichtmikroskop-Aufnahme vom Stamm einer jungen Pinie.