Ein normaler Bürger fragt: Welche Bücher prägten Ihre Politikkarriere?

Sehr geehrter Herr Nationalrat Wettstein

Als normaler Bürger dieses Landes frage ich mich immer wieder, wie Sie als Politiker mit der enormen Verantwortung umgehen, die Sie tagtäglich tragen. Ich habe grossen Respekt davor, was Sie jeden Tag leisten.

Was mich sehr wunder nimmt ist, wie Sie mit dieser Verantwortung umgehen. Welches sind Ihre politischen Vorbilder? Welche drei Bücher oder Autoren haben Sie als Politiker am meisten geprägt?

Besonders würde es mich interessieren, ob Sie die Selbstbetrachtungen von Mark Aurel gelesen haben? Meines Wissens war er ein Politiker, der mit seiner Machtfülle nach sehr verantwortungsvoll umgegangen ist und sein Handeln auf Vernunftleitung und Gemeinwohlorientierung ausgerichtet hat.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie für einige Minuten Zeit für einen Antwort hätten. Ansonsten wünsche ich Ihnen alles Gute auf Ihrem weiteren Weg.

Freundliche Grüsse
R.W., Olten

 

Meine Antwort per Mail:

Lieber Herr W.

Mail-Zuschriften wie die Ihre sind die Glücksmomente im Leben eines (Teilzeit-)Politikers – herzlichen Dank!

Sie benennen es treffend: Es ist eine grosse Verantwortung mit unseren Ämtern verbunden. Gleichzeitig ist es immer eine geteilte Verantwortung: Das macht es erträglich. Zum einen sind wir im Nationalrat immerhin 200 Personen oder 400 Schultern, auf die sich Verantwortung verteilt, im Oltner Gemeindeparlament immerhin 80 Schultern. Beim Bund kommt noch das Zweikammersystem hinzu.

Vor allem aber bin ich sehr froh um den Grundsatz der Gewaltenteilung als elementares Merkmal unserer Demokratie: Weder Regierung noch Parlamente noch «Volk» noch die Judikative stehen über allem anderen, vielmehr ist das Ganze ein ausbalanciertes Gefüge. Das macht die Entscheide manchmal träge und inhaltlich vielleicht auch etwas stumpf, aber ich verteidige dieses System durch alle Böden. Auch das Volk hat nicht immer recht! Auch die Richterinnen und Richter sind zwar fachlich ausschliesslich ihrer Aufgabe verpflichtet, aber dennoch eingebunden, sie müssen sich Wahlen und einer Aufsicht stellen.

Wie alle Systeme ist auch das unsrige nicht perfekt. Ich wünschte mir z.B. auf nationaler Ebene eine Verfassungsgerichtsbarkeit (zur Zeit zumindest eine temporäre: Mit dem Notrechtsregime, welches von der Sache her absolut gerechtfertigt ist, ist das Gefüge sehr deutlich verschoben worden. Dass alles verhältnismässig war sollte eine Drittinstanz bewerten – auch um Lehren für später zu ziehen). Ich wünschte mir auch ein Stimm- und Wahlrecht für alle, die heute davon ausgeschlossen sind.

Sie fragen mich auch nach Leitschriften und Vorbildern. Die Selbstbetrachtungen von Marc Aurel habe ich noch nicht gelesen – vielleicht sollte ich es mal nachholen. Vorbild war/ist mir z.B. Gro Harlem Brundtland, ehemalige norwegische Ministerpräsidentin und Kommissionsvorsitzende der Agenda 21 für Nachhaltige Entwicklung (im Vorfeld von Rio 1991). Ich durfte ihr vor etlichen Jahren an einer Tagung in Basel begegnen. Aus Deutschland ist mir Erhard Eppler gut in Erinnerung. Wenn ich an Regierungsmitglieder in unserem Land denke, kommen mir z.B. Micheline Calmy-Rey, Markus Notter, Jean-François Roth (JU), Monika Stocker in den Sinn. Unter den früheren Parlamentsmitgliedern stach für mich René Rhinow (BL) hervor; sein Buch «Alles mit Mass» (2019) habe ich gelesen – der Buchtitel dünkt mich nicht besonders geglückt, der Rest schon. Zur Zeit lese ich übrigens (zwischendurch) «Die Kraft der Demokratie» des Journalisten und Publizisten Roger de Weck.

Vor Jahren politisch geprägt hatten mich die Bücher «Une Suisse verte» von Laurent Rebaud (1987), «Wer regiert die Schweiz» von Hans Tschäni (1983) oder die Essay-Sammlung des Philosophen Hans Saner «Die Herde der Heiligen Kühe und ihre Hirten» (1983).

Mit freundlichen Grüssen

Felix Wettstein