Am 26. Juni 2023 um etwa halb elf Uhr erreicht mich eine Mail mit dem Absender «Informationsgruppe Erfrischungsgetränke» und der Titelzeile «Bei der Ernährung ist Eigenverantwortung gefragt». Aha, denke ich mir. Fremdverantwortung würde ja heissen, jemand stopft mir das Maul. Das ist zum Glück seit dem Babyalter nicht mehr vorgekommen.

Der Mailtext beginnt mit einer grün hinterlegten Box: «Wenn es um eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung geht, stehen Konsumentinnen im Mittelpunkt». Oha, denke ich: Immer dann, wenn jemand extra betont, dass die Konsumentin, der Kunde, die Patientin, der Bürger im Mittelpunkt stehe, dann werde ich misstrauisch. Es ist ein klares Signal, dass es um ganz anderes geht. Sonst müsste man eine solche Selbstverständlichkeit ja gar nicht betonen.

Was ist dieses andere im vorliegenden Beispiel? Hinter der ««Informationsgruppe Erfrischungsgetränke» stehen die Hersteller von Süssgetränken mit sehr hohem Zuckeranteil. Sie wehren sich dagegen, dass es Vorschriften zur Begrenzung des Anteils an raffiniertem Zucker gibt. Sie wehren sich gegen Ideen wie höhere Besteuerung auf fett- oder zuckerhaltigen Speisen und Getränken. «Freiheit in der Flasche» lautet einer ihrer Slogans (Titel der Medienmitteilung vom 28. März 2022). Sie wehren sich im Verbund mit anderen gegen Deklarationen wie Nutri-Score.

Die Informationsgruppe rund um Rivella, Ramseier, Red Bull und Coca Cola Schweiz nennt sich nicht etwa IG Süssgetränke, sondern eben Erfrischungsgetränke. Sie beteuert bei jeder Gelegenheit, wie sehr die Hersteller doch den Zuckeranteil freiwillig reduzieren würden. Sie ist sehr gut und direkt im nationalen Parlament vernetzt: Präsident der Gruppe ist der Mitte-Nationalrat Lorenz Hess (Mitglied der Gesundheitskommission), unter den sechs weiteren Vorstandsmitgliedern ist Mitte-Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler und SVP-Nationalrat Bruno Walliser. Wir alle in den Räten wissen: Wenn du in die eine oder andere Richtung Mehrheiten schaffen willst, dann musst du Mitte-Vertreter*innen für deine Sache gewinnen.

So erfrischend funktioniert Lobbying. In heissen Zeiten wie diesen.