«Du hast sicher viele Termine» höre ich von meinen Bekannten oft. Ich gebe dann meistens zur Antwort: «Es gohd. Es mag ine». So reagiere ich vor allem dann, wenn ich heraushöre, dass befreundete Personen sich scheuen, mich einzuladen, weil sie das Gefühl haben, ich hätte schon zu viel los. Dabei bin ich sehr gerne mit vertrauten Menschen zusammen und meistens einer der Letzten, die aufbrechen.

Andere Kreise scheuen sich nicht, mich einzuladen. Bekanntlich gibt es am Rand der Sessionszeiten in Bern gar manche Einladung: am meisten über Mittag, aber auch an Abenden und manchmal schon um 7 Uhr morgens. Weniger bekannt ist, dass wir Mitglieder des nationalen Parlaments auch ausserhalb der Sessionszeiten und ausserhalb von Bern zu allerlei Gelegenheiten eingeladen werden. Ich unterscheide zwischen den Einladungen im eigenen Kanton und jenen ausserhalb. Im eigenen Kanton probiere ich es mir oft einzurichten oder entschuldige mich, wenn der Termin nicht mehr frei ist. Jene, die einladen, haben mich ja vielleicht gewählt und wollen mit mir im Austausch sein. Auf ausserkantonale Einladungen reagiere ich hingegen nur selten, denn das würde meine Zeitplanung und Kräfte tatsächlich sprengen.

Gleichwohl macht es mich zwischendurch neugierig, wer diese einladenden Kreise sind und was sie sich wohl daraus versprechen, mich einzuladen (oft vergünstigt oder sogar ganz gratis, während «Normalsterbliche» zahlen müssen). Es muss offensichtlich so sein, dass wir Politiker:innen des nationalen Parketts einem Anlass eine grössere Bedeutung verleihen, wenn wir nur schon anwesend sind, selbst wenn wir zum Programm nichts beitragen. Und die Gratisverköstigung ist nur für uns gratis, nicht für die Veranstalter:innen. PS: Wir dürfen als Geschenk annehmen, was wir sogleich verspreisen und austrinken vermögen. Darüber hinaus wäre es nicht erlaubte Vorteilsnahme. Wäre – denn nicht selten werden uns Gratiseintritte an Kongresse usw. angeboten, was ich jedoch ausschlage. Eine Filmvorführung geht gerade noch, finde ich. Immerhin habe ich es noch nicht erlebt, dass uns Gratisübernachtungen oder -reisen angeboten worden wären: Da scheint die Sensibilität zugenommen zu haben.

Im Verlauf des bisherigen Jahres 2024 habe ich die Vielzahl an Einladungen etwas unter die Lupe genommen. Zwischen Jahresbeginn und heute zähle ich 88 Anlässe (wie erwähnt nur ausserkantonale, ausserhalb der Sessionen und keine, bei denen ich einen Betrag zu leisten hatte). Vermutlich habe ich noch ein paar übersehen. Und für Oktober-November sind bereits 13 weitere Einladungen eingetroffen. Bis Jahresende werden noch ein paar hinzukommen, so dass es übers ganze Jahr 2024 rund 120 Anlässe sein werden.

Sie verteilen sich nicht gleichmässig auf die Monate, was kaum überrascht. Im Juli hatte ich nur zwei Einladungen, neckischerweise für den gleichen Tag: Ich hätte die Wahl gehabt zwischen der Weltmeisterschaft der Voltigierer in Bern und der Parlamentarischen Gruppe Wandern zur Höhenwanderung über dem Thunersee, liess aber beides sein.

Rekordmonat war bereits der Januar mit 20 Einladungen, gefolgt vom Juni mit 17 Anlässen (ohne Termine am Rand der Session!) und vom Mai mit 14 Gelegenheiten. Sechsmal hätte ich mich am gleichen Tag dreiteilen können, und der Spitzentag war der Mittwoch 17. Januar mit fünf gleichzeitigen Terminen. Er fiel in die Woche des WEF in Davos, zu dem mich Klaus Schwab für ganze fünf Tage eingeladen hätte. Konkurrenz machten ihm am Mittwoch zwei Rahmenveranstaltungen in Davos: The digitalswitzerland Village sowie das Institut für Schnee- und Lawinenforschung der ETH. Gleichentags lud auch die Messe Swissbau in Basel zu einem Event zum Thema Kreislaufwirtschaft sowie die «Genossenschaft der Genossenschaften» in Zürich mit der Präsentation des Genossenschaftsmonitors 2024.

Auch ein belagerter Juni-Termin gibt einen guten Einblick in den Reigen derer, die auf uns setzen: Der Schweizerische Verband für Telekommunikation lud mich als «VIP-Gast (kostenlos)» zum Swiss Telecommunication Summit» am 18. Juni ein. In Genf fand derweil der Private Banking Day statt, Thema «Künstliche Intelligenz, Fluch oder Segen?». In Zürich schloss am frühen Abend die Vereinigung der Kantonalbanken an, Thema «Die Folgen des CS-Untergangs». Tags zuvor hätten mir «The Swiss Leading Hospitals» gerne ihren Qualitätszirkel 2024 vorgestellt. Ich verschmähte sie genauso wie den «Love Brunch» von Swiss Diversity in Zürich und (alles in derselben Woche!) die Energy Savers Konferenz/Conférence in Biel und die «57es Journées romandes des arts et métiers» des Gewerbeverbandes in Champéry.

Bleibt die Frage – ich höre sie schon – ob ich denn allen Einladungen widerstanden hätte. Nein, habe ich nicht. Der eben erwähnte Schweizerische Gewerbeverband hielt seine Jahresversammlung in Solothurn ab; ich war beim Znacht auf der Terrasse des Alten Spitals sehr gerne dabei. Den Bahnkongress Bahn24 in Basel wollte ich nicht verpassen (mit Frühbuchrabatt bezahlt). Und am Rande des Filmfestivals Locarno folgte ich einer von vier Einladungen, jener zum «Diner politique» der GARP, Gruppe Autor:innen, Regisseur:innen; Produzent:innen.