Von Zeit zu Zeit möchte ich neue Einblicke ins Funktionieren des Lobbyings unter der Bundeshauskuppel bieten. Heute ein Blick auf Einzelempfehlungen. Angesprochen sind Zuschriften – meistens per Mail, manchmal als ausgedrucktes Dokument am Morgen auf dem Pult – mit denen Interessenvertreter*innen uns Ratsmitglieder zu einem bestimmten Traktandum ganz konkret ans Herz legen, wie wir uns verhalten sollen, wo wir zustimmen und wo wir ablehnen sollen. In der zurückliegenden Wintersession haben uns auffallend viele solcher Zuschriften erreicht, manchmal erst wenige Stunden vor der entsprechenden Abstimmung. Ob sie etwas bewirken? Zumindest indirekt wahrscheinlich schon. Und vor allem erkennen wir, welche Themen besondere «Aufreger» sind, wenn zum selben Traktandum diverse Empfehlungen eintreffen.

Gleich vorweg: Als Präsident von pro-salute.ch bin ich bekanntlich selber Lobbyist, und in dieser Rolle habe ich eine Empfehlung an den Ständerat mitunterschrieben. Es geht um das Gesetz zur Regelung der Versicherungsvermittlungstätigkeit (21.043). Der Ständerat hat in unserem Sinn an seiner Position festgehalten, wonach es keine Unterscheidung zwischen internen und externen Maklern geben soll. Dieser Zwist zwischen den beiden Räten wurde erst in der Einigungskonferenz bereinigt: Erfreulicherweise setzte sich der Ständerat durch!

Mindestens fünf Zuschriften erreichten uns zum Wolf. Wir hatten ja bereits wieder eine Revision des Jagdgesetzes (21.502) auf dem Tisch: Sollen Wölfe künftig trotz dem erfolgreichen Referendum vor zwei Jahren nun doch präventiv abgeschossen werden dürfen? Und wenn ja: Nach einem Zeitplan, oder nur nach einer fallbezogenen Einschätzung des zu befürchtenden Schadens? Mehrfach scharten sich ganze Allianzen hinter eine Zuschrift, z.B. sechs Nutztierverbände. Auch der Bauernverband und die Vereinigung der Gebirgskantone meldeten sich. Da hatte eine Privatperson (Autor von Büchern zum Wolf) und die «Gruppe Wolf» keine Chance. Die Räte haben entschieden (gegen die meisten unserer Fraktion), die Wölfe sollen präventiv «reguliert» werden dürfen, wie das beschönigend genannt wird.

Noch mehr Einzelzuschriften erreichten uns im Zusammenhang mit der Biodiversität. Gleich vier Vorstösse von Parlamentsmitgliedern verfolgten ein übereinstimmendes Ziel: Einen Entscheid rückgängig machen, der erst vor kurzem (nach der Debatte um die Biodiversitätsinitiative) gefällt wurde. Damals war mit der Parlamentarischen Initiative (19.475) „Das Risiko beim Einsatz von Pestizid reduzieren“ in beiden Räten mehrheitsfähig, dass 3.5 Prozent der offenen Ackerflächen zu Biodiversitätsflächen werden sollen. Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie mit beschönigenden Titeln Politik gemacht wird: «Stärkung der einheimischen Lebensmittelproduktion» (22.3567), «Abhängigkeiten vom Ausland reduzieren» (22.3606), «Nahrungsmittelproduktion hat Vorrang» (22.3610), «Ziel zur Verringerung von Nährstoffverlusten senken» (22.3795). Effektiv geht es darum, dass mit viel synthetischem Pestizideinsatz weiterhin intensiv produziert werden darf. Das Lobbying war leider teilweise erfolgreich: Die Motion 22.3795 wurde mit 93 zu 90 Stimmen angenommen. Falls der Ständerat nicht korrigiert, wird der Schutz der Biodiversität bereits wieder aufgeweicht, das Reduktionsziel von 20% beim Stickstoff-Dünger würde abgeschwächt – obwohl sich der Bund ursprünglich 30% bis 2030 zum Ziel gesetzt hatte.

A propos Titelwahl: «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen» lautet die Motion 20.4738 von Ständerat Ettlin (OW). Wer könnte da schon dagegen sein? In der kleinen Kammer fand sie bereits eine Mehrheit. Effektiv geht es jedoch darum, dass kantonale Mindestlöhne künftig verunmöglicht würden! Solche sind bekanntlich, gestützt auf Volksentscheide, in fünf Westschweizer Kantonen eingeführt worden. Die Westschweizer Regierungskonferenz hat denn auch bei uns für eine Ablehnung der Motion geworben, ebenso der Schweizerische Gewerkschaftsbund. Leider vergeblich: Sie standen einer neuen «Allianz zur Stärkung der Sozialpartnerschaft» gegenüber, die zwei Tage vor der Abstimmung plötzlich in Erscheinung trat und 27 (!) Wirtschafts- und Branchenverbände umfasst. Abstimmungsresultat: 95 zu 93 bei 4 Enthaltungen für die Motion.

Auch zum Voranschlag 2023 erreichten uns diverse Empfehlungen zu einzelnen Änderungsanträgen, etwa zur internationalen Mobilität für Nachwuchs-Wissenschafter*innen oder – einmal mehr – für die zusätzlichen Subventionen in der Landwirtschaft. Dazu mein separater Rückblick.

Und weiter war die Verfassungsgrundlage 22.036 für die besondere Besteuerung grosser Unternehmen (OECD-Mindeststeuer) Anlass für diverse Empfehlungen, wie wir korrekt stimmen sollen (siehe auch hier). Unter ihnen war etwa die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren, der Schweizerische Städteverband oder der Verband der Industrie- und Dienstleistungsunternehmen „SwissHoldings“. Sie hatten Erfolg, wir GRÜNEN (und andere) das Nachsehen.

Schliesslich erreichten uns während dieser Session weitere 18 Mails mit Abstimmungsempfehlungen zu ganz unterschiedlichen Geschäften, auf die ich nicht einzeln eingehe. Manchmal sind es Privatpersonen, die sich beherzt melden, manchmal „altbekannte“ mächtige Lobbyisten. Wenn sie diesmal vielleicht keinen Erfolg hatten, dann haben sie sich zumindest in Erinnerung behalten…