Der laute Ruf nach Strafverschärfungen und präventiven Massnahmen
Fünf Titel von SDA-Meldungen, mit denen über die Sommersession der grossen Kammer berichtet wurde: «Nationalrat stimmt präventiven Massnahmen gegen Gefährder zu» (19.6.2020); «Nationalrat will Terror mit Hausarrest eindämmen» (18.6.2020), «Nationalrat heisst neue Terrorismus-Strafnorm gut» (16.6.2020) und «Linke sieht in neuer Terror-Strafnorm eine Gefahr für den Rechtsstaat» (gleichentags); «Nationalrat will schärfere Strafen für Vergewaltiger» (11.6.2020).
Terrorismus macht Angst, er muss im Keim erstickt werden. Vergewaltigung gehört aufs Schärfste verurteilt. Darum: Wenn auf der politischen Bühne der Ruf nach Verschärfung der Bestrafung und Überwachung ertönt, dann wird er erhört. Bedenken, dass die vorgeschlagenen Gesetze nicht mit unserem Rechtsstaat und unseren Grundwerten vereinbar sind, werden kaltgestellt. Das gilt selbst dann, wenn die UNO-Kinderrechtskonvention missachtet wird.
Wir Grüne haben darum gekämpft, dass klarer (und enger) definiert sein muss, was Terrorismus ist, was ein «Gefährder» ist, dass Persönlichkeitsrechte und richterliches Ermessen wichtige Prinzipien unseres Rechtsstaates sind und dass die Kinderrechte hoch gehalten werden. Wir hatten einen sehr schweren Stand.
Nachfolgend ein Auszug aus der digitalen Zeitschrift «Republik» vom 18. Juni 2020: Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (Von Elia Blülle, Dennis Bühler, Brigitte Hürlimann und Daniel Ryser), der belegt, welche Kritik in den Wind geschlagen wird.
(ab hier: ungekürzter Auszug aus «Republik»)
In einem Telefongespräch mit der Republik benennt Nils Melzer, Uno-Sonderbeauftragter über Folter und Professor für Internationales Recht an der Universität Glasgow, die «Ursünde» des Gesetzes: Es weiche nicht nur die bestehenden Terrorismusdefinitionen der Uno und des Schweizer Strafgesetzbuches massiv auf, sondern – entgegen der Behauptung in der Botschaft des Bundesrates – auch diejenige des Nachrichtendienstgesetzes. Und zwar in zwei Punkten.
Erstens: «Bisher war der Begriff des Terrorismus immer kumulativ», sagt Melzer. «Man musste bestrebt sein, die staatliche Ordnung durch die Begehung oder Androhung von Gewaltverbrechen und mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken beeinflussen zu wollen. Aus diesem ‹und› wird im neuen Gesetz ein ‹oder›.» Terrorist könne demnach auch werden, wer keine Straftat zu begehen drohe. Man möge es ablehnen, wenn die SVP mit Schäfchen-Plakaten auf die Ängste der Menschen ziele oder die Klimajugend vor dem drohenden Weltuntergang warne. «Aber Terrorismus ist das nicht. Mit der neuen Definition können solche Aktionen aber als Terrorismus eingestuft werden und zu weitgehend unkontrollierbarer Überwachung und Präventivhaft führen.»
Zweitens: Das neue Gesetz setze für Terrorismus nicht mehr zwingend Gewaltverbrechen voraus, sondern nur noch «schwere Straftaten», was eine massive Aufweichung der nach Uno und Schweizer Strafgesetzbuch zwingenden Voraussetzung für den Begriff des Terrorismus sei, sagt Melzer. Auch das Nachrichtendienstgesetz, von welchem das PMT seine Terrorismusdefinition laut Bundesrat wortwörtlich übernommen haben soll, verlangt als Grundvoraussetzung für seine Anwendbarkeit das Bestehen einer «konkreten Bedrohung» für Leib und Leben, Freiheit oder Staat. Diese Voraussetzung würde neu nicht mehr verlangt. Ohne eine solche zwingende Bedrohung aber sei «‹schwere Straftaten› ein extrem weitreichender Begriff. Damit können in Zukunft theoretisch auch politisch motivierte Whistleblower, Urkundenfälscher und Betrüger als Terroristen behandelt und mit Präventivmassnahmen belegt werden.»
Und deshalb warnt der Uno-Sonderberichterstatter: «Alles, was die Schweiz dann noch von einem repressiven Polizeistaat trennt, ist unser Vertrauen auf den gesunden Menschenverstand der Behörden.»