Am 2. Dezember 2019 wurde ich als Nationalrat vereidigt. Seither sind 4 Jahre, 4 Monate und 14 Tage vergangen: Eine gute Gelegenheit für eine Zwischenbilanz. Dass dieser Rückblick über mehr als vier Jahre möglich ist, verdanke ich dem Höhepunkt meiner Polit-Zeit in Bern: Am 22. Oktober 2023 konnten die GRÜNEN Kanton Solothurn erstmals in ihrer Geschichte den Nationalratssitz verteidigen – einer von sechs Sitzen, die dem Kanton Solothurn zustehen.

Den Finanzhaushalt durch alle Wogen steuern

Von Beginn an war ich Mitglied der Finanzkommission des Nationalrats (FK-N): Ich konnte mich in dieser Zeit als Finanzpolitiker etablieren. Wir waren während der letzten Legislatur 4 GRÜNE unter den 25 Kommissionsmitgliedern, nun sind wir immerhin noch zu dritt. Seit Frühling 2022 bin ich auch Delegationsleiter FK unserer Fraktion und dafür zuständig, dass die Verbindung zwischen unserem Grüppchen und der gesamten Fraktion klappt, wenn die FK ein Ratsgeschäft vorbereitet. 

Wir betreiben Finanzpolitik mit klarem Kompass: Der Bund soll die Ausgaben reduzieren bei Armee, Strassenbau und gesundheits- oder umweltschädigenden Subventionen. Er soll die Mittel erhöhen zu Gunsten von Umwelt, Bildung-Forschung, internationalem Engagement, öffentlichem Verkehr, Kultur. Bei den Landwirtschaftsgeldern fordern wir eine Verschiebung hin zu mehr Ökologie, zu mehr Pflanze statt Tier. Wir konnten den Abbau bei den Einnahmen verhindern, d.h. «bürgerliche» Pläne für Steuerreduktionen abwehren. Wir schauen der Nationalbank auf die Finger. Wir wollten die Coronaschulden über das gut geäufnete Ausgleichskonto tilgen. Teilweise waren wir erfolgreich, oft überstimmt, durchgehend beharrlich.

Die Finanzkommission arbeitet zusätzlich in vier Subkommissionen: Es sind Gelegenheiten, um in die Tiefe zu gehen. Seit Frühling 2022 bin ich in jener Subkommission (FK-N3), welche alle Ämter des Departements Umwelt Verkehr Energie Kommunikation (UVEK) sowie des Innendepartements EDI (mit Gesundheit, Kultur, Soziales, Gleichstellung, Lebensmittelsicherheit, Statistik) begleitet: Im Budgetprozess, zum Rechnungsabschluss, bei Amtsbesuchen. Zwischen Frühjahr 2022 und  Herbst 2023 durfte ich diese Subkommission präsidieren. Es war und ist sehr lehrreich und befriedigend.

Teil der Arbeit dieser Subkommissionen ist die Oberaufsicht über die «Verselbständigten Einheiten des Bundes»: Jene privatrechtlichen Organisationen, die im Besitz des Bundes sind und/oder hoheitliche Aufgaben erfüllen. Der Bundesrat formuliert strategische Ziele, und die Subkommissionen bewerten deren Erfüllung 1x im Jahr im direkten Austausch mit Präsident*in und CEO. In meinem Fall (FK-N3) sind das SBB, Post, Swisscom, Skyguide, Swissmedic, Pro Helvetia, Nationalmuseen. Im direkten Austausch mit den Verantwortlichen gelingt es, Entwicklungen anzustossen und den Ehrgeiz zu wecken. Das erlebte ich verschiedentlich, vor allem mit Blick auf die 17 Ziele der nachhaltigen Entwicklung (SDG’s).

Finanz- und steuerpolitisch würden der Schweiz nach meiner Überzeugung ein paar grundlegende neue Perspektiven gut tun. Ich mache mich dafür stark, dass Steuerabzüge künftig nicht mehr vom Bruttoeinkommen abgezogen werden, sondern vom geschuldeten Betrag. Mit der heutigen Regel nützt jeder Abzug den Wohlhabenden ungleich mehr als den Ärmeren. Mit meiner Regel würden beide gleich stark entlastet. Weiter bin ich für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Und schliesslich ist die Schuldenbremse zu rigide ausgestaltet. Sie führt faktisch zum Schuldenabbau und verhindert wichtige Innovationen. Wir arbeiten an Reformmöglichkeiten, ohne das Ziel des ausgeglichenen Bundeshaushalts zu verlassen.

Beobachtung und Registrierung des Lobbyings

Von der ersten Session an habe ich unter die Lupe genommen, wie das Lobbying im Bundeshaus funktioniert: Welche Kreise mit welchen Mitteln auf uns zukommen und uns für ihre Sache gewinnen wollen. Es kommen Mails, Briefe, vor Weihnachten kleine Pakete; Einladungen zu Anlässen, Kontakte in der Wandelhalle. Wir bekommen zu jeder Session Sessionsbriefe von rund 50 Organisationen mit diversen Empfehlungen, zusätzlich viele Empfehlungen zu einzelnen Geschäften. Parlamentarische Gruppen sind ein Instrument des Lobbyings. Während der Session gibt es Zeiten (v.a. über Mittag, teilweise an Abenden) mit gleichzeitig 5-10 Veranstaltungen. Während der Corona-Zeit ruhten diese Instrumente, seither ziehen sie tüchtig an, auch die Einladungen an Kongresse oder Symposien.

Regelmässig verarbeite ich die Erfahrungen zum Lobbying in Blog-Beiträgen (bisher 16), die alle auf meiner Webseite nachzulesen sind. Lobbying ist ein Bestandteil der Bundespolitik: Dagegen ist nichts einzuwenden. Was ich will, ist Transparenz, auch über die Gratisangebote oder Entschädigungen. Auch ich bin Lobbyist: In sieben Organisationen bekleide ich eine Aufgabe im Präsidium, Vorstand oder Stiftungsrat – alle unbezahlt.

Es hat selbstverständlich mit meinem Nationalratsmandat zu tun, dass ich in den letzten Jahren ein Präsidium und zwei Co-Präsidien übernommen habe: Ich präsidiere pro salute.ch (die Allianz von sechs Organisationen, welche die Sichtweise von Prämienzahlenden, Versicherten, Patientinnen in die heiss umstrittene Gesundheitspolitik einbringen). Ich bin seit Herbst 2021 Co-Präsident der Vereinigung für eine Starke Region Basel/Nordwestschweiz – mein Interesse gilt einer Schweiz bestehend aus lauter «starken Regionen» und einer entsprechenden Gebietsreform. Seit Januar 2024 bin ich Co-Präsident von Pro Wind Solothurn. Und auch meine beiden Badges habe ich vergeben: Sie ermöglichen einer Vertreterin der «Taskforce Culture» und einem Vertreter von «Expo Event» den Zugang zum Bundeshaus. Beide Kontakte entstanden, weil die Kultur- und Eventbranche von den Corona-Massnahmen am einschneidendsten und längsten betroffen waren.

Umwelteinwirkungen auf die Gesundheit

Meine thematischen Interessen waren schön früher vielfältig und sind es auch heute. Ich bin gerne «Allrounder», und dies am liebsten mit einer mittelfristigen Perspektive. Nicht zuletzt deswegen komme ich in der Finanzkommission auf meine Rechnung, denn sie beleuchtet letztlich alle politischen Aufgabenfelder. Gleiches gilt auch für meine zweimalige Mitarbeit in jener temporären Kommission, welche sich der Legislaturplanung des Bundes widmet. Sowohl 2020 als auch aktuell, im Frühjahr 2024, war ich einer der GRÜNEN, welche sich in diese Legislaturplanung vertieften und die bundesrätlichen Vorstellungen ergänzten.

Die Vorstösse, die ich bisher eingereicht habe – Motionen, Postulate, Interpellationen – decken ein nicht viel schmaleres Spektrum ab. Es gibt aber ein Leitmotiv, das ich am häufigsten bearbeite: Die Verbindung von Umwelt und Gesundheit. Sehr oft war in den letzten Jahren die Pestizidthematik auf dem Programm: Dazu gab und gibt es bereits zahlreiche Vorstösse und auch zaghafte Erfolge; diese durfte ich mittragen. Meine erste Motion galt dem Thema Chlorothalonil-Belastung und Trinkwasserqualität. Der Bund soll sich an den notwendigen Sanierungen beteiligen. Erfolgreich war nicht mein Vorstoss, aber ein ganz ähnlicher, den ich mitunterzeichnet hatte. Mit einer weiteren Motion wollte ich erreichen, dass die gemessenen Luftschadstoffe, welche Zementwerke und teilweise Kehrichtverbrennungsanlagen ausstossen, veröffentlicht werden müssen (was bisher nicht der Fall ist). Bundesrat und Nationalrat waren dafür, doch der Ständerat blockte ab.

Ums Thema Feinstaubbelastung und Klimaverträglichkeit von Holzfeuerungen geht es mir in zwei Interpellationen, die ich in diesem Frühling lanciert habe. Weiter habe ich mich mit den PFAS, Per- und Polyfluorierte Alkyl-Verbindungen, beschäftigt. Die Problematik dieser «Ewigkeitschemikalien» mit ihren vordergründig so vorteilhaften Eigenschaften dringt erst nach und nach ins öffentliche Bewusstsein. Was Dänemark kennt, habe ich erfolglos für unser Land versucht: Lebensmittelverpackungen ohne PFAS.

Die nationale Politik hat in den letzten Monaten im Themenfeld «Kreislaufwirtschaft» ein paar erfreuliche Schritte gemacht, ganz besonders mit der Revision des Umweltschutzgesetzes im März 2024. Das Thema ist aber nicht abgeschlossen. Ein noch wenig beachteter Aspekt von Kreislaufwirtschaft sind die nutzenbasierten zirkulären Geschäftsmodelle, auch Produkt-Service-Systeme genannt. Ein bisher unbeackertes Thema im Kampf gegen Abfall und Ressourcenverschleiss ist «Cosmetic-Waste», das ich mit einer ersten Interpellation angezogen habe.

 

Erfolge und Misserfolge

So erfreulich die Fortschritte in Sachen Kreislaufwirtschaft und bei der Reduktion des Pestizideinsatzes sind: Viele Umweltthemen hatten es in den letzten viereinhalb Jahren schwer. Und nach den Wahlen vom Oktober 2023 ist es eher noch schwieriger geworden, mit ökologischen Anliegen vorwärts zu kommen. 

Ein Tiefpunkt war natürlich die verlorene Volksabstimmung über das CO2-Gesetz im Juni 2021. Zwar hat dann die Stimmbevölkerung im Juni 2023 dem Klimagesetz zugestimmt und damit die Ziele und Etappen für den Ausstieg aus den fossilen Energien gesetzt. Bereits jetzt zeigt sich, dass sich das Parlament schwer tut, die notwendigen Massnahmen folgen zu lassen. Immer noch dominiert die Haltung «Wenn es mir nützt, stimme ich zu» und nicht der Bedarf zur Abwendung der Klimakrise. Vor allem in der Verkehrspolitik sind die Erfolge mässig und die Rückschläge häufig.

In Sachen Raumplanung startete ich 2019 mein Bundes-Mandat mit einem argen Dämpfer: Die zweite Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes, Fokus «Bauen ausserhalb der Bauzone», wurde sistiert. Erst in der letzten Session der vergangenen Legislatur, im Herbst 2023, kriegte das Parlament die Kurve dennoch, nachdem vor allem die Landwirtschaft von fast allen Auflagen ausgenommen worden war. Dazwischen war auch die «Agrarpolitik 22plus» sistiert und dann abgeschwächt worden, die mehr Ökologie hätte bringen müssen.

Wenn es im Umweltbereich harzt, so darf ich doch bilanzieren, dass die Schweiz in Sachen «offene Gesellschaft» vorwärts kommt. Gesellschaftsliberale Themen erweisen sich heute als mehrheitsfähig, wozu die Zeit vor 2019 noch nicht reif war. Doch nun haben wir die «Ehe für alle» und den Vaterschaftsurlaub. Sexuelle Übergriffe gegen den Willen des Opfers stehen unter Strafe. Wir erleben viel Goodwill gegenüber Themen, in denen es um die Vielfalt der Lebensformen und der sexuellen Orientierungen geht. Noch ist Gleichstellung in vielerlei Hinsicht nicht erreicht, aber es tut sich etwas: Lohnanalysen im Geschlechtervergleich, Abbau von Hindernissen für Menschen mit Behinderung, Aufklärung von früher tabuisierten Vorgängen (z.B. Übergriffe im Sport). Mit der Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose haben wir seit langem wieder einmal ein neues Sozialwerk geschaffen.

Und nicht zuletzt dank der entsprechenden Volksinitiative geht es nun vorwärts mit einer «Nagelprobe» für eine moderne Gesellschaft, der Individualbesteuerung. Der Bundesrat hat im Februar 2024 seine Botschaft veröffentlicht, und bereits haben wir uns in der Finanzkommission erstmals darüber gebeugt.

Zum Schluss: Sämtliche Rückblicke auf die Legislatur 2019 bis 2023 stellten die «Multikrisen» ins Zentrum: Covid 19-Pandemie, Krieg in der Ukraine und im Gaza, drohender Energiemangel, Kollaps der Credit Suisse. In der Tat jagte eine Krisenbewältigung die nächste. Es dürfte wohl zutreffen, dass es seit dem Ende des zweiten Weltkriegs die herausforderndste Zeit für das Schweizer Parlament war. Gleichwohl habe ich in meiner Zwischenbilanz nach 4 Jahren, 4 Monaten und 4 Tagen versucht, die Gewichte etwas anders zu legen. 

Eine Auswahl anderer Themen, die mir am Herzen liegen:

Die Schweiz sollte als Lehre aus den Corona-Erfahrungen ein nationales Pandemie-Frühwarnzentrum einrichten, wie es andere Staaten inzwischen auch kennen. Die Motion war nicht erfolgreich, aber vielleicht gelingt es, ein vergleichbares Institut mit der Revision des Epidemiengesetzes zu verankern.

Die Region Winterthur hat in einer Studie belegen können, dass die Ablösequote aus der Sozialhilfe deutlich erhöht werden kann, wenn pro Fachperson deutlich weniger Dossiers zu bewältigen sind. Ich regte an, dass der Bund ein Impulsprogramm mit Anstossfinanzierung zur Umsetzung dieser Erkenntnisse andernorts ermöglicht.

Meine beiden jüngsten Vorstösse betreffen die Sozialversicherungen und deren Finanzierung. Kurz nach der Abstimmung über die 13. Altersrente habe ich die Motion zur Schaffung der Finanztransaktionssteuer eingereicht. Und als gesamte Fraktion fordern wir, dass die 13. Rente auch für die Hinterbliebenen und für die IV-Berechtigten gilt.