Eigentlich ist der Fall ja klar: Vor gut zwei Jahren, am 13. Februar 2022, haben die Stimmbevölkerung und die Mehrheit der Kantone der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak» zugestimmt. Seither steht in der Bundesverfassung, dass jede Art von Werbung für Tabakprodukte verboten ist, welche Kinder und Jugendliche erreicht. Und nun geht es darum, diesen Verfassungsauftrag ins Gesetz zu giessen, mit entsprechenden Anpassungen im Anpassungen im Tabakproduktegesetz.

Doch was passiert? Die grosse Mehrheit des Parlaments ist überhaupt nicht daran interessiert, jene Massnahmen zu treffen, die aus gesundheitlicher Sicht nötig wären. Sie ist allein daran interessiert, die Interpretationen bis aufs Äusserste auszureizen, so dass es an möglichst vielen Orten doch noch möglich ist, fürs Rauchen zu werben! Daran haben nur die Tabakindustrie selbst sowie die Werbebranche ein Interesse. Doch es gelingt ihnen, zwei Drittel des Parlaments auf ihre Seite zu ziehen. Es nützt nichts, wenn auf der anderen Seite die ganze Ärzteschaft steht, ebenso die grossen Ligen wie Krebsliga und Lungenliga, die Krebsforschung, der Drogistenverband, die Allianz gesunde Schweiz, die Sportorganisationen und viele mehr: Alle mit sehr vielen «Bürgerlichen» in den Leitungsstrukturen. Auch juristische Bedenken kann man in den Wind schlagen.

Ich frage mich schon, ob wir hier an eine Grenze der Demokratie à la Suisse stossen. Wir haben bekanntlich keine Verfassungsgerichtsbarkeit. Mit einer Initiative können wir nur die Verfassung ändern, nicht die Gesetze. Anschliessend muss der Bundesrat dem Parlament eine Vorlage unterbreiten, wie diese Verfassungsbestimmung in konkrete Massnahmen umzumünzen ist. Das hat der Bundesrat nicht schlecht und vor allem relativ schnell gemacht. Doch schon der Ständerat suchte nach Möglichkeiten, die Bestimmungen möglichst zu lockern, und die vorberatene Kommission des Nationalrats ging noch viel weiter. Zu allem Überfluss heisst sie «Gesundheitskommission»! Das Bundesamt für Justiz kam zum Schluss, dass die Kommissionsanpassungen mit der Verfassung nicht mehr vereinbar wären. In der Ratsdebatte wurde dies schnöde als «Parteigutachten» vom Tisch gewischt!

So kam es, wie es kommen musste: Die nationalrätliche «Gesundheits»-Kommission erreichte am 29. Februar 2024 im Rat fast überall Mehrheiten. Meistens war es sehr knapp, einmal verhinderte der Stichentscheid von Eric Nussbaumer (SP) eine Verwässerung. Und in der Schlussabstimmung dann der Knall: 121 Stimmen gegen diese Vorlage, nur 64 dafür (plus 2 Enthaltungen). Wir GRÜNEN und die SP verteidigten vergeblich die Perspektive der Initiative und des Bundesrats. Auf der anderen Seite des Spektrums konnte die SVP kaltschnäuzig behaupten, die Vorlage sei viel zu restriktiv und müsse zurück an den Absender. Nun ist wieder der Ständerat am Zug.

Was mich bedrückt: In der ganzen Diskussion ging es eigentlich nie um die Frage, ob wir mit unserer Gesetzesarbeit die Wirkung erzielen, die wir wollen (bzw. gemäss Verfassung müssen). Die entscheidende Wirkung wäre ja, dass Minderjährige tatsächlich nicht mehr von Tabakwerbung erreicht werden. Das macht aus fachlicher Perspektive unbedingt Sinn, denn fast alle, die regelmässig rauchen, haben damit vor dem 18. Altersjahr begonnen. Tatsache ist:

  • Tabakwerbung in Zeitungen und Zeitschriften «für Erwachsene» erreicht Kinder und Jugendliche! Ich habe die Zeitung und die Heftli meiner Eltern immer angeschaut.
  • Tabakwerbung durch Sponsoring von Festivals erreicht Kinder und Jugendliche.
  • Mobiles Verkaufspersonal an öffentlichen Orten erreicht Kinder und Jugendliche. (Es wurde doch tatsächlich argumentiert, Verkaufsanimation sei keine Werbung!)

Eine kleine Hoffnung bleibt, dass der Ständerat wenigstens an seiner Version festhält. Sonst droht der Totalabsturz, und es würde sich bestätigen, dass die Demokratie hier an Grenzen kommt.