Von Felix Wettstein, Nationalrat

Hinweis: Die vollständige Zusammenstellung der Organisationen/Firmen, Branchen, Form der Kontaktaufnahme und Inhalt der Zusendung ist nachgeführt unter https://felix-wettstein.ch/transparenz-in-der-politik .

Bis 24. Dezember, vier Tage nach Abschluss der Wintersession und gut zwei Monate nach meiner Wahl in den Nationalrat, ist die Liste der Zusendungen von Organisationen und Firmen auf 288 angewachsen. Darunter sind etliche Kontakte von Interessenskreisen, die sich mehrmals bemerkbar gemacht haben: zwei, drei oder viermal. Wenn ich alle Absender nur einmal zähle, waren es 224 verschiedene. Nicht mitgezählt habe ich Weihnachtskarten oder reine Zusendungen von Newslettern (ohne weitere «Goodies» wie Einladungen, Geschenke oder Abstimmungsempfehlungen).

Parlamentarische Gruppen und ihre Hintergründe

Wie bereits in der letzten Zwischenbilanz vom 14.12. erwähnt, habe ich auch die meisten schriftlichen Kontaktnahmen von Parlamentarischen Gruppen (PG) mitgezählt. Weggelassen habe ich nur jene, die rein interne Interessensgruppen sind, die zum Beispiel gemeinsam musizieren oder joggen. Die meisten PG’s repräsentieren jedoch eine «Verbindung zur Aussenwelt», das heisst zu Public Affairs-Fachpersonen in bestimmten Themenfeldern. 36 Gruppen haben mich zum Beitritt und/oder zu einem Anlass eingeladen. Bisher bin ich nirgendwo beigetreten (offenbar bekommen jeweils alle Ratsmitglieder die Einladungen, nicht nur die Eingeschriebenen). An einem dieser Anlässe habe ich teilgenommen: An jenem der Parlamentarischen Gruppe NCD (nicht übertragbare Krankheiten) in Verbindung mit der Allianz Gesunde Schweiz. Ich kenne viele Akteure dieser Allianz aus meiner beruflichen Tätigkeit.

Ein paar Beispiele mögen illustrieren, welche Parlamentarischen Gruppen ausserdem aktiv sind: PG Bildung-Forschung-Innovation, PG Erneuerbare Energien, PG Biodiversität und Artenschutz, PG Bienen, PG Raumentwicklung, PG Pflege, PG Digitale Nachhaltigkeit, PG Rotes Kreuz, PG Tourismus, PG Inlandbanken, PG Pensionskassen, PG Textilwirtschaft, PG Luft- und Raumfahrt, PG lingua rumantscha, PG Christ + Politik. Eine ganze Reihe von Gruppen widmet sich der internationalen Kontaktpflege: Schweiz-Afrika, Schweiz-USA, Schweiz China, Schweiz-Taiwan, Schweiz-Israel, Schweiz-Kuba. Die Kontaktadressen lassen Rückschlüsse zu, dass nicht nur philanthropische Interessen verfolgt werden. So fällt zum Beispiel auf, dass je mehrere Parlamentarische Gruppen durch die PR-Büros Farner beziehungsweise furrerhugi koordiniert werden.

Der Charakter der «Zuwendungen» wandelt sich

Im Verlauf der zurückliegenden zwei Monate gab es bei den Inhalten der Zusendungen klare Häufungen. Am Anfang, kurz nach der Wahl am 20. Oktober, trafen Gratulationsschreiben ein, oft mit einer Terminankündigung. Es folgten die eigentlichen Einladungen zu den rund 40 Anlässen am Rande der drei Sessionswochen, bei denen immer ein Apéro oder eine Mahlzeit lockte.

Sobald das Sessionsprogramm bekannt war, setzten die Zuschriften mit Empfehlungen zum Abstimmungsverhalten bei konkreten Geschäften ein (in meiner zweiten Zwischenbilanz vom 1.12. bin ich vertieft darauf eingegangen). Solche Verhaltensempfehlungen erreichten mich insgesamt 50, teilweise per Post und per Mail, und die letzten am Tag selbst, an dem das Geschäft im Rat traktandiert war. Zu meiner Überraschung besteht Lobbying offensichtlich auch darin, am Schlusstag einen Sessionsrückblick zu versenden und darin die Entscheidungen des Nationalrates oder des Ständerates zu bewerten. Derartige Mailzuschriften erreichten mich achtmal; teilweise integriert in einen Newsletter.

In den letzten zwei Wochen erhielt ich auch einige Weihnachtskarten, die nicht als Lobby-Kontakte verzeichnet sind. Weiter fällt auf, dass gewisse Akteure mittelfristig denken und ein Polit-Barometer zusammenstellen, welches verschiedene Themen des bevorstehenden Politjahres beleuchtet. Und es treffen auch weitere Einladungen ein, vor allem zu Kongressen, Konferenzen und Konzerten in der Zeit zwischen den Sessionen.

Kleine Geschenke sind mir sporadisch und verteilt auf die ganze Zeit zugeschickt worden. Wenn man Infobroschüren und Zeitschriften-Probenummern nicht dazu zählt, waren es 22 Geschenke: Bücher, Kalender, eine CD, Elektronikzubehör, Süssigkeiten, Lippenbalsam und die inzwischen schweizbekannte «Panty».   

Welche Branchen sind am aktivsten?

Bereits in meiner ersten Zwischenbilanz 30 Tage nach den Wahlen hatte ich auf die häufig vertretenen Branchen hingewiesen. Daran hat sich einiges bestätigt. Das Politikfeld «Gesundheit» war am stärksten präsent: 43 Kontakte von 33 Akteuren. Dabei sind nicht etwa Krankenversicherer oder die Pharma (je 3 Akteure) am zahlreichsten, sondern die Berufsverbände (9) sowie diverse Allianzen und Bündnisse (7).

Zugelegt haben die Nonprofitorganisationen: 34 verschiedene haben mich kontaktiert, darunter 7 aus dem Bereich Behinderung, 6 zu Menschenrechtsanliegen, 4 zu Gesundheitsthemen und 3 zu Kinder/Jugendliche. Die Grenzziehung zu Berufsverbänden, welche in der Regel nicht gewinnorientiert sind und insgesamt rund 20 mal vertreten waren, ist nicht trennscharf.

Relativ zahlreich mit je 7-9 verschiedenen Absendern waren weiter die folgenden Branchen vertreten: Energiebranche, Medienbranche, Tourismus-Hotellerie-Gastro, Bau und Immobilien,  Versicherungen, Wirtschaftsdachverbände. Vergleichsweise selten, mit je 3 Absendern, waren Landwirtschaft, Bildung und Kultur vertreten.

Das Fazit nach 64 Tagen

Zusammenfassend: 134 zugesandte Briefe (inkl. 6 Maxibriefe), 14 kleinere bis mittelgrosse Pakete, 125 E-Mails (wobei es hier besonders schwierig ist einzuschätzen, was zu den Lobby-Aktivitäten zu zählen ist und was nicht).

Zusätzlich wurden während der Session durch die Bundesweibel 20 Lobbybriefe und zwei Kleinpakete direkt auf die Tische im Ratssaal verteilt. Das hat mich doch sehr erstaunt. Das ist offenbar dann erlaubt, wenn ein Ratsmitglied den Brief oder das Begleitschreiben unterzeichnet. Und damit wird einmal mehr die Binsenweisheit bestätigt, dass einige der wirkungsvollsten Lobbyisten als gewählte Volksvertreter*innen im Halbrund sitzen.  

Mit diesem vierten Blog-Beitrag zu den Lobby-Kontakten, die ich als neu gewählter Nationalrat erlebt habe, schliesse ich die lückenlose Dokumentierung ab. Ich bleibe jedoch wachsam und werde auch künftig auf bemerkenswerte Aspekte des Lobbyings im Bundeshaus eingehen.