Seit meinem Einzug in den Nationalrat vor fünfeinhalb Jahren nehme ich das Wirken des Lobbyings in Bundesbern unter die Lupe. Es ist die Neugier, die mich antreibt: Wer lobbyiert, zu welchen Themen, mit welchen Mitteln, auf welchen Kanälen? Und immer mal wieder werde ich gefragt: «Bewirkt dieses Lobbying eigentlich etwas? Beeinflusst das eure Entscheide?»

Die Antwort ist nicht einfach zu geben, weil es wohl selten einen eindeutigen, gradlinigen Weg von der interessengeleiteten Empfehlung zum Abstimmungsverhalten der Ratsmehrheit gibt. Aber das Sprichwort «Steter Tropfen höhlt den Stein» trifft zweifellos zu. Und das kann ich nun aus mehrjähriger Beobachtung bestätigen: Es sind immer wieder die gleichen Kreise, die sich um uns bemühen, sei es mit Empfehlungen zur Session oder zu einzelnen Vorlagen, sei es mit Einladungen oder WandelhallenGesprächen.

Vor und während dieser Frühlingssession war das Lobbying wieder besonders präsent. Das hatte höchstens am Rand mit der Bundesratswahl zu tun. Bei den eingegangenen Sessionsbriefen verzeichneten wir vermutlich einen neuen Rekord: 67 kamen per Mail und weitere sechs per Post. Sie trafen zwischen dem 19. Februar und dem 4. März bei mir ein. Unschlagbar der 28. Februar: Am Freitag vor dem Sessionsstart hatte ich nicht weniger als 16 Sessionsbriefe im Maileingang! Es versteht sich von selbst, dass es niemand schafft, alle genau zu studieren. Aber die bekannten Absender:innen bleiben im Gedächtnis haften. Es könnte ja mal sein, dass jemand etwas nachschlagen will…

Wie immer trafen zudem per Mail (und selten per Brief) zahlreiche gezielte Empfehlungen zu Einzelgeschäften ein: In meiner Mailbox waren es mindestens 35. Es fällt auf, dass sich diese Empfehlungen auf ganz unterschiedliche Vorlagen beziehen. Je drei Empfehlungen gab es zur Energievorlage «Beschleunigungserlass» (23.051), zum Tabakproduktegesetz (23.049) und zur Juso-Erbschaftssteuer-Initiative (24.082).

Auch die Einladungen am Rand der Session waren wiederum zahlreich. Einige habe ich bestimmt übersehen, aber registriert habe ich 34 Anlässe während Mittagspausen, 20 Abendanlässe und 8 «Zwischendurch»-Einladungen ins Bundeshausrestaurant (der Apéro riche nach der Bundesratswahl mitgerechnet). Den Rekord verzeichnete der Mittwoch-Mittag in der ersten Sessionswoche, als ich gleichzeitig an 11 Orten hätte sein können! An einer war ich tatsächlich: Bei der Parlamentarischen Gruppe Kinder und Jugendpolitik (mit Sandwich).

Aber zurück zur Frage, ob alle diese Lobby-Anstrengungen überhaupt etwas bewirken. Ich antworte jeweils: Die wichtigsten «Influencer» sind die Ratskolleginnen und -kollegen aus der eigenen Partei bzw. Fraktion, die in der jeweiligen vorberatenden Kommission sitzen. Alle übrigen sind froh und darauf angewiesen, dass sie sich in die Materie vertiefen und zuhanden der Fraktion Empfehlungen machen. Häufig stimmen wir dann als Fraktion geschlossen ab.

Dieser Mechanismus bedeutet nichts anderes, als dass es den einflussreichen externen Kreisen gelingen muss, bereits auf die Kommissionsmitglieder einzuwirken, bevor diese ein Geschäft in der Kommission beraten. Am Wirkungsvollsten ist das natürlich, wenn Ratsmitglieder im Präsidium, im Verwaltungs- oder Stiftungsrat sitzen. In diesem Fall stimmen sie ja bloss «in ihrem eigenen Interesse» (😊) und geben diese Empfehlung dann ihren Parteikumpanen weiter.  Abstimmungen zur Gesundheitspolitik zeigen immer wieder, wie das Lobbyieren funktioniert. Die Geschäfte der Sozial- und Gesundheitskommission (SGK) gelten bei den meisten Ratsmitgliedern als komplex. Alle jene, die nicht selber in dieser Kommission mittun, sind einfach nur froh, wenn sie auf ihre Parteikolleg:innen hören können.

An dieser Stelle muss ich natürlich meine eigene Interessenbindung offenlegen, auch wenn das für die meisten keine Neuigkeit ist: Ich bin seit 2022 Präsident von pro-salute.ch, der Allianz von sechs Organisationen, welche gemeinsam die Stimme der Konsumentinnen, Prämienzahler, Patientinnen einbringen. Auch von uns stammte einer der oben erwähnten Sessionsbriefe (mit Empfehlungen an den Nationalrat zu vier Geschäften, an den Ständerat zu zwei Geschäften: Je deutsch und französisch…; unsere Geschäftsleiterin hatte gearbeitet). Ich bin allerdings nicht Mitglied der Sozial- und Gesundheitskommission.

 

Erfolgloses und erfolgreiches Lobbyieren an einem Beispiel

Am 13. März war im Nationalrat die Motion 23.4088 «Lockerung des Vertragszwangs im KVG» von Ständerat Peter Hegglin (Mitte, ZG) auf der Traktandenliste. Der Ständerat hatte ihr im Herbst 2024 bereits zugestimmt; die vorberatende Kommission SGK des Nationalrats empfahl ebenfalls Zustimmung.

Das rief zahlreiche Akteure auf den Plan: Kantone, Berufsverbände im Gesundheitswesen, Konsumenten- und Patientinnenorganisationen, Ligen, Verbände der Spitäler, den Heime, Apotheken: Sie alle sind vehement (und mit gutem Grund) dagegen, dass dieser zentrale Pfeiler unserer Krankengrundversicherung einstürzt. «Zwang» ist es schliesslich nur für die Kassen, für alle anderen ist es eine Garantie. Gleich elf Verbände (neun Berufsorganisationen, der Spitalverband H+ und der Heimverband Artiset) haben sich gemeinsam in einem Brief mit elf Unterschriften an uns Nationalrätinnen und Nationalräte gewandt. In mindestens zehn der oben erwähnten Sessionsbriefen – drunter von den Kantonen (GDK), der Krebsliga, dem privaten Heimverband Senesuisse, ebenso «unsere» Allianz pro-salute.ch – wurde dringend von der Zustimmung zur Motion Hegglin abgeraten.

Einzig die Krankenkassen waren dafür. Das machten der neue Kassenverband prio:suisse, die Groupe Mutuel und die Helsana in ihren Sessionsbriefen klar, aber ihre Einflussnahme via Gesundheitskommission hatte offensichtlich früher eingesetzt. Und siehe da, sie hatten bis auf wenige Ausnahmen die gesamte SVP, FDP, die Mitte-Partei und die GLP auf ihrer Seite. Das Resultat war überdeutlich: 113 Ja, 72 Nein. Geschlossen dagegen waren nur GRÜNE und SP. In den vier anderen Fraktionen gab es je 2-3 Neinstimmen und insgesamt 6 bürgerliche Enthaltungen.

Ich bin sicher: prio:suisse liess am 13. März die Korken knallen.