Am zweiten Sessionstag hatten wir im Nationalrat eine sogenannte «ausserordentliche Session» zum Thema PFAS, wie die Per- und Polyfluorierten Alkylverbindungen abgekürzt heissen. Man spricht auch von den «Ewigkeitschemikalien», weil diese zahlreichen synthetischen Verbindungen – es sind mehrere tausend – so stabil sind, dass sie kaum abbaubar sind und sich in der Umwelt, aber auch in unseren Körpern, mehr und mehr anreichern. Es war höchste Zeit für diese ausserordentliche Session. Das Ergebnis ist allerdings fast durchgehend ernüchternd bis erschreckend. Nur einen Hoffnungsschimmer gibt es.

Neu ist das Thema eigentlich nicht. Die ersten Vorstösse hatten wir vor rund vier Jahren im Rat. Ich hatte damals mit der Motion 21.4117 gefordert, dass die Schweiz analog Dänemark die PFAS aus den Lebensmittelverpackungen verbannt, denn es existieren ungefährliche Ersatzprodukte. Die bürgerliche Ratsmehrheit verwarf am 14. September 2023 meine Motion deutlich. Mehrere Male nutzte ich bereits die Fragestunde im Nationalrat (21.8017, 23.7755, 24.7485) mit dem Ziel, dass die Politik die Gefährlichkeit dieser Stoffgruppe endlich ernst nimmt. Nun scheint – zumindest vordergründig – ein Ruck durch die Reihen gegangen zu sein: Im Juni waren gleich acht Motionen zu PFAS eingereicht worden, die wir nun im Rahmen der ausserordentlichen Debatte behandelten. Zu meinem Erstaunen begann der FDP-Vertreter Andri Silberschmidt seinen Redebeitrag mit dem Bekenntnis, er zuerst habe nachschauen müssen, was PFAS heisse. Da frage ich mich schon, auf welcher Basis er in den letzten Jahren diverse Vorstösse abgelehnt hatte…

Die Güterabwägung der Mehrheiten

Von den acht Motionen waren vier von bürgerlichen Parlamentsmitgliedern erstunterzeichnet worden, je eine stammte aus Kreisen der GLP, der SP und von uns GRÜNEN; und die Umweltkommission brachte ebenfalls eine Motion ein. Diese letztere sowie die bürgerlichen Vorstösse erreichten Mehrheiten. Das verheisst zum Teil gar nichts Gutes.

Aufgewacht und aufgeschreckt war die rechte Ratshälfte letztes Jahr, als bekannt wurde, dass im Kanton St. Gallen das Fleisch gewisser Kühe nicht mehr verkauft werden darf, weil ihre Weiden offensichtlich zu hohe PFAS-Belastungen aufwiesen (vermutlich aus Klärschlamm) und dass darum im Fleisch der Tiere Konzentrationen gemessen wurden, die deutlich über dem Grenzwert liegen. Gut, wurde der Fleischverkauf gestoppt! Allerdings: Fast nirgendwo wird bisher der PFAS-Gehalt gemessen, und es werden wohl noch vielerorts Kühe auf Weiden grasen, die zu viele Schadstoffe aufweisen.

Mit den Bauern und Bäuerinnen haben wir alle Erbarmen. Verständlicherweise freut sich niemand über die Verdienstausfälle, wenn sie die Produkte ihres Viehs nicht mehr verkaufen dürfen. Allerdings – und das ist das Erschreckende an der Geschichte – ist die Gesundheit von uns Menschen im Zweifelsfall kein Argument. Die erwähnte Kommissionsmotion (25.3421) zielt darauf ab, die Grenzwerte aufzuweichen, sodass die Landwirtschaft und die Trinkwasserversorgung weitermachen dürfen, als ob nichts wäre. Belastetes Trinkwasser soll mit unbelastetem gemischt werden, bis die Mischung wieder als unbedenklich durchgeht. Vergiftetes Fleisch soll verkauft werden dürfen, wenn es mit nicht-kontaminiertem Fleisch gemischt wird. Wie bitte? Wird alles verwurstet? Wird alles als «Gehacktes» ordentlich vermischt? Und wie soll das mit dem Entrecôte und der Rindshuft gehen?

Zwei weitere Motionen von bürgerlichen Parlamentsmitgliedern führen zum gleichen Ziel: Die Grenze der Unbedenklichkeit soll verschoben, und nachweislich belastete Produkte sollen gleichwohl verkauft werden dürfen. In der griechischen Antike wurde der Überbringer einer schlechten Nachricht geköpft. Dem hielt Sophokles ca. 420 v. Chr. Entgegen: «Töte nicht den Boten». Sind wir heute weiter? Wir töten vielleicht den Boten nicht, der uns aufzeigt, was wir unserer Gesundheit und der Umwelt zumuten. Aber wir mischen Gift und «Ungift», und wir verschieben die Grenze des Zumutbaren. Oder, wie es Enrico Kampmann in der WOZ vom 11.9.2025 betitelte: «Augen zu und her mit der Wurst».

Lobbying von vielen Seiten

Kurz vor der Ratsdebatte erhielten wir zahlreiche Zuschriften zu den PFAS-Motionen. Ich greife zwei davon heraus. Die „Industriegruppe Agrar“, die sich regelmässig per Brief mit Empfehlungen zum richtigen Abstimmen ans Parlament wendet, legte uns nahe, der Kommissionsmotion zuzustimmen. Die Grenzwerte sollen „risikobasiert und vollzugstauglich“ sein; nebst den Gesundheits- und Umweltrisiken sei auch die „Kohärenz zu anderen Grenzwerten und die wirtschaftlichen Folgen, inklusive des Schutzes der Kulturen“ zu berücksichtigen. Schön formuliert, was im Klartext heisst: Aufweichung der Grenzwerte; zulassen, was bisher verboten werden müsste. Die Industriegruppe Agrar setzt sich zusammen aus Vertretungen der Chemiefirmen BASF, Bayer, Leu+Gygax, Omya, Stähler und Syngenta. Sie hat dieselbe Adresse wie „scienceindustries“, der Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences. Dessen Zuschrift (auch per Post) deckt sich in Sachen Empfehlungen zu den PFAS-Motionen. 

Ein Gegengewicht versuchten der Schweizerische Gemeindeverband und der Schweizerische Städteverband zu bilden. Ihre zentrale Aussage: „Der Schweizerische Städteverband und Gemeindeverband lehnen diese Motion ab, da der Schutz von Gewässern und Trinkwasser oberste Priorität hat und nicht zugunsten einzelner Sektoren beschnitten werden darf. Je höher die Konzentration von PFAS insbesondere im Trinkwasser ist, desto grösser werden die Investitionen in die Infrastruktur zur Behandlung dieser «Ewigkeitschemikalien» ausfallen. Der präventive Schutz der Gewässer muss oberste Priorität haben.“ Die Mehrheit des Nationalrats schlug diese Warnung in den Wind.

Verhinderte Notwendigkeiten

Was wirklich notwendig wäre, war Gegenstand jener Motionen, die keine Mehrheit fanden. Barbara Schaffner (GLP) scheiterte mit ihrem Vorstoss 25.3801 «PFAS schrittweise reduzieren. Sektorielle Absenkpfade und Massnahmen definieren» relativ knapp.  Martine Docurt (SP) wollte eine Beschränkung der PFAS-Zulassung auf wesentliche Verwendungszwecke (z.B. in der Medizin), wo keine Ersatzverfahren verfügbar sind (25.3797).  Nur 74 Ratsmitglieder waren dafür. Gleich wenige waren es bei der Motion 25.3930 meiner Fraktionskollegin Marionna Schlatter: Sie wollte eine Abgabe auf PFAS-Produkten an der Quelle, das heisst bei der Einfuhr und Herstellung. Mit dem Erlös soll die Schadensbekämpfung finanziert werden.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter hartnäckig zu fordern: Das Problem muss an der Wurzel behandelt werden.

Es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer: Susanne Vinzenz-Stauffacher, designierte FDP-Copräsidentin, brachte mit vier Stimmen Vorsprung und gegen den Willen des Bundesrats die Motion 25.3902 durch: «Einführung einer Deklarationspflicht für PFAS». Das wäre das Mindeste. Doch freuen dürfen wir uns erst, wenn auch der Ständerat zusagt. Diese Hürde müssen auch noch jene Motionen nehmen, die der Nationalrat ohne Rücksicht auf menschliche Gesundheit gutgeheissen hat. Ob wohl die «chambre de réflexion» ihrem Ruf gerecht wird?