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«An der Schuldenbremse darf nicht gerüttelt werden». Bundesrätinnen, Ständeräte oder Nationalrätinnen von Rechtsaussen über Liberal bis Mitte werden nicht müde, dies zu betonen. Wer es jedoch wagt, zur Schuldenbremse Fragen zu stellen, wird sofort abgekanzelt. Ihr oder ihm wird unterstellt, das Land in den finanziellen Ruin führen zu wollen. Damit wird eine Diskussion oder nur schon ein vertieftes Nachdenken verunmöglicht.

Tatsache ist: Das Regelwerk einer Schuldenbremse lässt sich unterschiedlich ausgestalten. Viele Länder kennen ein solches Instrument. Die Regeln unterscheiden sich; jene der Schweiz gelten als die rigidesten. Gerne wird darauf verwiesen, dass die Schuldenbremse in der Volksabstimmung 2001 mit 85 Prozent Ja beschlossen wurde. Das ist selbstverständlich ernst zu nehmen, und der Grundsatz, der damals beschlossen wurde, ist durchaus tauglich. In Absatz 1 von Artikel 126 unserer Bundesverfassung heisst es nämlich seither: «Der Bund hält seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht.»

Das Problem: Seit 2003, als die Regeln eingeführt wurden, verfehlt der Bund dieses Gleichgewicht! Es stellte sich keine Balance ein; vielmehr sanken die Schulden fast laufend. Sie sanken in absoluten Zahlen, und sie sanken relativ zum steigenden Wohlstand noch stärker: Von damals rund 25% auf heute unter 18% des Bruttoinlandprodukts. Selbst der kleine Buckel während der Coronazeit ist bereits wieder ausgebügelt. Ein Schuldenstand von Null ist aber kein sinnvolles Ziel, so wenig wie der Schuldenstand eines Landes möglichst nie über 60% BIP hinausgehen sollte, wie es die «Maastricht-Kriterien» zum öffentlichen Schuldenstand festhalten. Wenn die Quote zu tief ist und wenn sie vor allem nie mehr steigen darf, leidet die mehrjährige Perspektive, die ein Staat unbedingt einnehmen muss, damit er seine Infrastruktur nicht vernachlässigt.

Die Schuldenbremse ist heute einseitig ausgestaltet. Sie verlangt, dass die Ausgaben strikte kontrolliert und plafoniert werden, kennt aber keine Gegenbewegung, indem sie Abweichungen bei den Einnahmen mitberücksichtigen würde. Vor allem deshalb führt sie nicht zu einem Gleichgewicht. Zudem unterscheidet sie nicht zwischen den laufenden Ausgaben und den Investitionsausgaben. Das hat zur Folge, dass Gelder für sinnvolle längerfristige Investitionen ohne Not die laufenden Aufgaben ausbremsen, namentlich jene, welche sogenannt «schwach gebunden» sind. Das sind vor allem Bildung, öffentlicher Verkehr, Klima- und Umweltschutzmassnahmen, Landwirtschaft, Kultur, internationale Zusammenarbeit sowie die Sicherheitsdienste inklusive Armee. Letztere wird aktuell von der Parlamentsmehrheit als «stark gebunden» (und rasch wachsend) behandelt: Das geht direkt auf Kosten der übrigen Aufgabengebiete.

 

Drei sinnvolle Reformelemente

Mit den folgenden Elementen lässt sich die Schuldenbremse reformieren, damit unser Land dem Gleichgewichtsziel der Verfassung näher kommt, als es heute der Fall ist. Das erste notwendige Element heisst Schuldenquote statt Schuldenbetrag. Aktuell gilt die Vorschrift, dass der nominale Betrag der Schulden nicht steigen dürfe. Wenn jedoch das Bruttoinlandprodukt steigt – was es in den meisten Jahren tut – und wenn dabei der Schuldenbetrag im Gleichschritt mitsteigt, dann bleibt die Schuldenquote stabil. Für die Planung würde gegenüber heute jedoch jener Handlungsspielraum entstehen, welcher dem Wachstum der Volkswirtschaft Rechnung trägt.

Als zweitens braucht es eine Unterscheidung zwischen den Ausgaben der laufenden Rechnung und den Investitionsausgaben. Heute macht die Schuldenbremse diese Unterscheidung nicht. Das führt dazu, dass der Bund seine Investitionen in jenem Jahr, in dem er sie tätigt, vollständig ausfinanzieren muss. Er muss quasi den ganzen Betrag bar auf den Tisch legen. Das ist absurd. Es ist, als ob jemand nur dann ein Haus kaufen oder eine Firma übernehmen könnte, wenn er oder sie den ganzen Kaufbetrag beim Abschluss des Geschäfts sofort selber aufbringen würde. Zweifellos ist es richtig, dass Private einen Eigenanteil leisten müssen, aber den Hauptteil übernimmt die Bank mit einer Hypothek. Wäre es anders, würden höchstens Erben ein eigenes Haus bewohnen können. Investitionen, der Name sagt es, bringen einen Nutzen nicht bloss im Moment, sondern auf Jahrzehnte hinaus. Darum wäre es unbedingt nötig, dass der Staat für seine Investitionstätigkeiten einen bestimmten Rahmen zur Verfügung hat, der nicht der Schuldenbremse unterstellt ist.

Drittens gibt es Möglichkeiten, das Gleichgewicht besser zu wahren, wenn die zu erwartenden Kreditreste miteinkalkuliert werden. Heute muss das Parlament jeweils im Dezember, bei der Budgetverabschiedung, behaupten, im Folgejahr würde der hinterste und letzte Franken wie geplant ausgegeben werden. Jede Erfahrung zeigt, dass das niemals der Fall sein wird. Die Planungsgenauigkeit hat sich verbessert (zum Glück); aktuell verbleiben durchschnittlich etwa 2 Mrd. Franken Kreditreste bei einem Gesamtetat von 86 Mrd. Franken. Eine sinnvolle Regelung könnte zum Beispiel wie folgt aussehen: Wir nehmen die letzten fünf abgeschlossenen Rechnungsjahre, von diesen den Durchschnitt der Kreditreste. Danach halbieren wir diesen Betrag noch (um wirklich auf der vorsichtigen Seite zu sein): So viel zusätzlichen Spielraum erträgt jedes Budget, ohne dass die Schulden ansteigen werden.

Fazit: Heute funktioniert die Schuldenbremse des Bundes wie ein Bremsklotz, der ständig auf der Radfelge schleift. Das ist nicht nur nervtötend, es verursacht auch unnötigen Energieverschleiss. Wir brauchen eine Bremse, die nur dann bremst, wenn wir den Bremshebel ziehen.

 

Informationen des Bundes: https://www.efd.admin.ch/de/schuldenbremse