Solothurner Zeitung: Noch vor Kurzem haben Sie eine erneute Kandidatur nicht ausgeschlossen, nun kündigen Sie den Rücktritt aus dem Nationalrat an. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?

Felix Wettstein: So plötzlich kommt dieser nicht. In der Partei liefen die Überlegungen dazu seit einigen Monaten. Dabei gab es drei Szenarien: Der Rücktritt per Ende Legislatur sowie eine erneute Kandidatur 2027, was die Verteidigung des grünen Sitzes vielleicht einfacher gestalten würde. Nun haben wir uns für die dritte Variante entschieden. Ich gebe den Sitz rechtzeitig frei. Somit hat meine Nachfolgerin anderthalb Jahre Vorlauf vor den nächsten Wahlen.

Also ein taktisches Manöver, damit Laura Gantenbein vom Bisherigen-Bonus profitieren kann?

Der Begriff Manöver hat einen negativen Beigeschmack. Aber natürlich spielen Parteiinteressen eine Rolle. Für die Grünen war es bereits ein grosser Erfolg, dass wir den Sitz 2023 verteidigen konnten. Uns ist bewusst, dass dies auch bei der nächsten Wahl anspruchsvoll sein wird.

Bei Ihrer ersten Wahl ritten Sie auf der grünen Welle, inzwischen stehen Umweltthemen vermeintlich nicht mehr zuoberst auf dem Sorgenbarometer. Ein Nachteil für Ihre Partei?

Meine erste Wahl war eine sagenhafte Erfolgsgeschichte und die Krönung unserer Parteiarbeit. Gleichzeitig spielten der Klima- und Biodiversitätsschutz in der Bevölkerung eine grosse Rolle. Dass diese Themen, die aus unserer Sicht seit Langem ins Zentrum gehören, endlich Gewicht erhielten, war ein gutes Gefühl. Im UBS-Sorgenbarometer sind diese Themen zwar etwas nach hinten gerückt, stehen aber in der aktuellsten Ausgabe immer noch auf Platz zwei, hinter den Krankenkassenprämien. Wie die politische Grosswetterlage 2027 sein wird, kann ich nicht vorhersagen. Aber es ist ein Fakt, dass unser Wahlsystem die grossen Parteien bevorzugt, während die Hürden für mittelgrosse und kleine Parteien hoch sind. Wir müssen strampeln, um gewählt zu werden.

2023 wurden Sie in Extremis gewählt. Welche Erinnerungen haben Sie an den Wahltag?

Die Freude war riesig. Dies zeigen die Bilder, die von dem Tag überliefert sind. Diese waren schliesslich nicht inszeniert. Erst als die Stadt Solothurn als letzte Gemeinde ausgezählt war, wanderte der Sitz von der Mitte zu uns. Beide Wahltage gehören zu den emotionalsten Tagen in meinem Leben.

Bezüglich Ihres Rücktritts argumentieren Sie auch mit Ihrem Alter. Dabei konnte man sich bereits 2023 fragen, ob ein älterer Mann noch der richtige Vertreter für die Grünen ist mit ihrer diversen und feministischen Wählerschaft.

Ich war bereits bei meiner ersten Wahl über 60-jährig und hatte mir eine Perspektive von maximal zwei Legislaturen vorgestellt. Und auch als bald 68-jähriger Mann kann man ein feministischer Politiker sein. Als solchen sehe ich mich auch. Da gibt es deutlich ältere Männer, die so tun, als ob es ohne sie nicht gehe. Weisse Haare habe ich schon seit rund 20 Jahren. Aber ich will keiner jener Männer sein, den man vom Stuhl prügeln muss. Sosehr ich mit Herzblut Politik mache: Ich bin ersetzlich.

Mit jeder weiteren jüngeren Frau wird die Bevölkerung im Nationalrat jedenfalls besser abgebildet, einverstanden?

Ziel muss sein, dass das gesamte Spektrum der Bevölkerung abgebildet ist, davon ist das Parlament derzeit weit entfernt. Was die Vertretung der verschiedenen Generationen und der Geschlechter betrifft, habe ich für die Grünen im Kanton Solothurn ein gutes Gefühl. Das zeigen die Vertretungen im Gemeinderat Solothurn und im Oltner Parlament. In der Oltner Stadtregierung sitzt mit Raphael Schär-Sommer ein jüngerer Mann. Mit Brigit Wyss hatten wir acht Jahre lang eine Regierungsrätin. Leider hat es mit der Wahl von Daniel Urech in den Regierungsrat nicht geklappt.

Wie blicken Sie auf Ihre Zeit im Nationalrat zurück, wo Sie in erster Linie als Finanzpolitiker in Erscheinung traten?

Finanzpolitiker wurde ich durch meinen Einsitz in der Finanzkommission. Wobei ich bereits im Solothurner Kantonsrat in der Finanzkommission sass und von diesem Erfahrungsrucksack profitieren konnte. Im Bund merkt man rasch, dass es in der nicht sehr öffentlichkeitswirksamen Finanzpolitik viel Fleissarbeit braucht. Derzeit herrschen in diesem Bereich harte Zeiten.

Sie wollten die Schuldenbremse reformieren. Dabei gilt diese als eigentliche Erfolgsgeschichte. War das Ansinnen zum Scheitern verurteilt?

Dass die Schulden auf Dauer in der Balance bleiben, bestreite ich gar nicht. Doch heute tendieren wir dazu, die Schulden zu eliminieren. Wenn ein Gemeinwesen so agiert, vernachlässigt es die Investitionen. Deshalb fordere ich eine andere Ausgestaltung der Schuldenbremse, die bei Budgetentscheiden mehr Spielraum lässt. Zu Beginn stiess ich damit auf Gegenwind. Am vergangenen Wochenende hat ein FDP-Ständerat einen Vorstoss eingereicht, der in die ähnliche Richtung zielt. Was zeigt: Finanzpolitik ist das Bohren dicker Bretter.

Aufgrund Ihres fachlichen Hintergrunds als Fachhochschul-Dozent waren Sie auch Gesundheitspolitiker. Was haben Sie erreicht?

In erster Linie, dass Prämienzahlende eine Stimme erhalten. Das Präsidium des Vereins Pro Salute Schweiz, der sich für die Versicherten respektive die Konsumentinnen und Konsumenten im Gesundheitssystem einsetzt, möchte ich weiterführen. So wurde dank unseres Einsatzes beim Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative der Mitte ergänzt, dass fürs Ausarbeiten von Kosten- und Qualitätszielen auch die Versicherten mitreden müssen.

Welchen Rat geben Sie Ihrer Nachfolgerin Laura Gantenbein mit auf ihrem Weg ins Haifischbecken Bundeshaus?

Keinen Ratschlag, sondern ein Angebot, dass sie jederzeit auf mich als Gesprächspartner zukommen kann. Sich auf die Erfahrungen eines Alt-Nationalrats abstützen zu können, kann in Bundesbern hilfreich sein.