Kostenziele im Gesundheitswesen – im Interesse einer qualitativ guten Versorgung oder im Widerspruch dazu?
Eine kleine Überraschung in der ersten Woche der Sommersession: Im Nationalrat erreichte das Konzept «Kostenziele im Gesundheitswesen» eine Mehrheit. Auch wir GRÜNEN haben mehrheitlich dazu beigetragen, obwohl dieser Weg bei uns nicht unumstritten ist. Qualität ist höher zu gewichten als Kostenreduktion. Das aber muss kein Widerspruch zur Steuerung mit Kostenzielen sein.
Am Anfang der Debatte stand die Volksinitiative der CVP, heute «Die Mitte», mit dem Titel «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen». Sie will, dass sich die Kosten für die obligatorische Krankenversicherung (und nicht die Prämien! Der Initiativtitel ist irreführend) nur im Gleichschritt mit den Löhnen und der Wirtschaftsleistung entwickeln dürfen. Ausser der Urheberpartei findet das niemand eine taugliche Idee. Aber die Erwartung, dass die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung nicht mehr so stark steigen dürfen wie in den vergangenen Jahren, wird fast durchgängig geteilt. Darum hat der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag vorgelegt, und nach einigen Schlaufen ist nun der Nationalrat als Erstrat darauf eingestiegen.
Es ist einigermassen unbestritten, was Public Health-Fachleute aufzeigen können: Rund 20% aller Leistungen bringen keine Verbesserung der Gesundheit, teilweise sogar das Gegenteil. Es gibt immer noch Anreize, zu viel zu diagnostizieren, eine zu teure Behandlung anzusetzen, ein zu teures Medikament zu verschreiben, weil es sich für jene auszahlt, die behandeln und verschreiben. Und es gibt Überkapazitäten, die danach rufen, ausgeschöpft zu werden. Das sind die Kostentreiber, die wir endlich beseitigen müssen. Zur Erinnerung: Wir bezahlen nicht nur über die (Kopf-)Prämien, sondern vernünftigerweise auch mit Steuergeldern und – gar nicht wenig – aus dem eigenen Sack (Franchise, Selbstbehalte).
Es gibt drei Kantone in der Schweiz, die seit ein paar Jahren für die stationäre Versorgung Globalbudgets kennen, das heisst jährlich festzulegende Kostenziele: Genf, Waadt und Tessin. Es zeigt sich klar: Deren Kosten steigen deutlich flacher an als es die Durchschnittskosten sämtlicher Kantone tun. Auch andere Länder kennen Systeme mit Kostenzielen und haben keine schlechtere medizinische Versorgung als wir. Die Angst ist ja jeweils gross, dass gegen Schluss des Jahres, wenn das Kostenziel ausgeschöpft ist, die Leistungen rationiert würden. Die Erfahrungen zeigen, dass diese Angst unbegründet ist: Es gibt Instrumente zur Nachkorrektur ohne Nachteile für die Behandlungen.
Für uns GRÜNE ist weiter klar und wichtig: Nebst Überversorgung gibt es auch Unterversorgung, zum Beispiel in psychiatrischen oder im spitalambulanten Bereich. Darum ist es wichtig, von Kosten- und Qualitätszielen zu reden: Qualitätsziele können die Basis für finanziellen Ausbau und für Verschiebungen sein. In der vorberatenden Kommission war es erst eine Minderheit, die diese Ergänzung wollte, aber erfreulicherweise war es im Plenum dann eine Mehrheit. Und eine weitere Verbesserung hat die Ratsdebatte gebracht: Wenn es darum geht, die Kostenziele festzulegen, muss der Bundesrat Anhörungen bei den wichtigsten Interessenskreisen durchführen. Dazu gehören nicht nur Kantone, professionelle Leistungserbringer und die Krankenversicherungen (so wollte es der Bundesrat), sondern natürlich auch die Versicherten!
Als Präsident von www.pro-salute.ch freut es mich sehr, dass es gelungen ist, diese Ergänzung einzubauen. Jetzt sind wir gespannt, wie es mit dieser Revision des Krankenversicherungsgesetzes in der Herbstsession im Ständerat weitergeht.
Und hier geht es zu meinem Votum im Rat: Video-Aufzeichnung